zum Hauptinhalt
...heute.

© privat

Glosse: Lasst uns auf unser „früher“ freuen!

"Früher war alles Besser." Was für eine elende Floskel. Aber können wir auf sie verzichten, wenn wir unseren Enkeln von Techno, Monopoly und Harry Potter vorschwärmen? Ein paar Gedanken.

An einem lauen Sommerabend, der hält, was der Wetterbericht versprach, knurrt ein älterer Herr ohne Haar in sein halb leeres Bier: „Früher war alles besser. Da war es noch richtig heiß und nicht so schwül.“ Ich sitze neben ihm und nippe an meinem gerade noch halb vollen Bier. In einer dunklen Weihnachtsnacht, die von Kerzenschein und Kinderaugen erleuchtet wird, blickt eine alte Dame aus dem Fenster ins Dunkel. Sie säuselt in ihren Tee: „Früher war alles besser, da konnte man noch ordentlich rodeln gehen.“

Ich reagiere genervt, trotzig, selten interessiert. Was soll man auch auf diese Floskel antworten? Was auf das vergoldete Vergangene entgegnen? Wir wissen nicht, wie die Butterbrotstulle nach ewig langem Fangenspielen im Wald geschmeckt hat. Das liegt nicht daran, dass wir kein Fangen gespielt hätten. Nur waren wir einfach nicht dabei, und werden jetzt von jenen, die damals jung waren, mitleidig daran erinnert, etwas verpasst zu haben. Vielen Dank, Oma. Aus mittelmäßigen Geschichten bleibt oft nur das Gute hängen und mit jeder neuen Erzählung wird das Vergangene noch besser. Wer von früheren Sommern schwärmt, denkt nicht an Mückenstiche oder Sonnenbrände. Er vergisst unerträgliche Fahrten in nicht klimatisierten Bussen und das stundenlange Herumwälzen beim Einschlafen, weil das Kissen zu warm war.

Die Enkel werden denken: Da wäre ich gerne dabei gewesen

Gönnen wir unseren Großeltern also ihr „Früher war alles besser“ und freuen uns insgeheim schon darauf, über unser „Früher“ zu erzählen. Darauf, wie wir erzählen werden, dass wir E-Mails und SMS noch selbstständig abgetippt haben, dass wir endlos lange Werbepausen ausgehalten haben, ohne sie mit einem Programm zu überspringen. Wir werden von Abenden mit „Mensch ärgere dich nicht“ und Nächten mit „Monopoly“ schwärmen, von Pokémon auf dem Gameboy und Fifa auf der Playstation 3 und davon, wie wir uns aussuchen durften, ob wir Harry Potter, Bibi Blocksberg oder Hexe Lilli hören wollten. Kinder, als wir jung waren, sind wir Einrad, Longboard und gerne auch mal schwarz gefahren, liefen in Chucks, Klettverschluss- und Lederschuhen im „Used-Look“ durch Berlin!

Wir wussten, was ein Tamagotchi ist und dank „Willi wills wissen“ auch allerhand anderes. Wir trugen Brillen mit Fensterglas, um Eindruck zu machen, verliebten uns in Jungs mit Zopf und Drei-Tage-Bart, färbten Haare blau und waren trotzdem noch natürlich. Die verpönte Chartmusik, die doch jeder auf dem iPhone hatte, lief während Autobahnfahrten, Zimmer- und Zähneputzen und eine Stunde vor der Party. Zu nichts ließ sich lauter und schräger singen als zum neuen Bravo-Hit, ohne Text und Melodie zu kennen. Wir werden von Festivals und Clubnächten erzählen. Wir tanzten zu Electro, vergaßen Unwesentliches. Wir werden gähnenden Enkeln beweisen wollen, dass Techno kein monotoner Quatsch ist und mit Herzschlag argumentieren, mit Herzschlag und grenzenloser Freiheit. Lasst uns unser Jetzt so bestreiten, dass wir später sagen können: Früher war alles besser. Und vielleicht entlockt der eine oder andere ja seinen Enkeln: Da wäre ich gerne dabei gewesen.

Das ist ein Beitrag unseres neuen Jugendmagazins "Schreiberling". Lust auf mehr? Werdet unsere Freunde auf www.facebook.de/Schreiberlingberlin oder folgt uns auf www.twitter.com/schreiberling_.

Antonia Barthel

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false