zum Hauptinhalt

Berlin: Gockelkampf am Girls’ Day AUF DEUTSCH GESAGT

Brigitte Grunert über die Sprache der Politiker

Wenn Politiker reden, dann wollen sie für ihre Anliegen werben. In der Regel. Manchmal aber drücken sie sich um klare Worte, weil es den Wähler verprellen könnte. Wie Politiker sprechen, und was sie wirklich meinen – künftig alle zwei Wochen von Brigitte Grunert.

Es ist doch immer wieder lehrreich, Politikern zu lauschen. Was lehrte uns vergangenen Donnerstag im Abgeordnetenhaus die Aktuelle Stunde über den unfriedlichen Teil des 1. Mai? Wie sich schlechte Manieren und Sprachschluderei breit machen. Da alles schon durchdekliniert war in der Presse, im Fernsehen, im parlamentarischen Innenausschuss, reichte es eine Woche nach der Randale nur noch für langweilige Polemik vor gelichteten Reihen. Der Regierende blieb unsichtbar. Selbst die CDU war vollzählig nur zur Abstimmung über ihren – abgelehnten – Missbilligungsantrag gegen Innensenator Ehrhart Körting. So schnell verflüchtigt sich die Aktualität?

„Verantwortlich ist natürlich eine jahrzehntelange Ausgrenzungspolitik“, meinte die Abgeordnete Marion Seelig (PDS) zur Gewalttätigkeit jugendlicher Ausländer. Justizsenatorin Karin Schubert hatte es im TagesspiegelInterview so ausgedrückt: „Der Konflikt zwischen den traditionellen Werten ihres Heimatlandes und den in Deutschland vorherrschenden Wertvorstellungen ist häufig dafür verantwortlich, dass sich Eltern und Kinder entfremden und die Gefahr besteht, dass Eltern in der Erziehung resignieren und Kinder in die Kriminalität abrutschen.“

Au Backe, das tut weh. Verantwortlich können immer nur Personen sein, auch Politiker, aber nicht „die Politik“. In Konflikte können auch nur lebendige Wesen aus Fleisch und Blut geraten, keine leblosen Gegenstände, keine Werte. Umstände oder eine falsche Politik sind höchstens ursächlich für Konflikte oder kriminelles Verhalten Jugendlicher. „Dieses Klientel…“, sagte Körting – wie schon öfter. Also wenn schon Klientel, dann mit dem richtigen Artikel. Es gibt nur die Klientel und nicht das Klientel. Hoffentlich haben sich die Polizeischüler auf der Zuschauertribüne nichts Falsches gemerkt.

Lassen wir die gewagte These von der „jahrzehntelangen Ausgrenzungspolitik“ beiseite, der vermutlich deshalb keiner widersprach, weil keiner hinhörte. Aber man muss direkt grübeln über die „in Deutschland vorherrschenden Wertvorstellungen“. Gibt es etwa keine Werte, die nach Recht und Gesetz für alle verbindlich sind? Will die Justizsenatorin das vor lauter Toleranz nicht eindeutig sagen? Oder entschlüpfte ihr aus Gedankenlosigkeit eine falsche Floskel?

Nur Ex-Senator Wolfgang Wieland (Grüne) und FDP-Fraktionschef Martin Lindner durchbrachen die Langeweile mit einem Auftritt in eigener Sache. Passend zum Girls’ Day führten sie einen Gockelkampf vor. „Herr Lindner, nu lachense nich so dusslich“, entfuhr es Wieland bei seiner Rede. Die Rüge des amtierenden Präsidenten Christoph Stölzl für das unparlamentarische Wort dusslich nahm er gern in Kauf, so sehr ärgerte er sich immer noch über Lindners Zuruf am 1. Mai: „Freiheit für Wieland!“

Zur „Klarstellung“ trat nun Lindner ans Rednerpult. Er habe vor der FDP-Zentrale in der Reinhardtstraße mit einem Becher Kaffee in der Hand den DGB-Demonstrationszug beobachtet und Wieland entdeckt: „Flankiert von FDJ und Stalin-Plakate-Trägern marschierten die Grünen mit den Dinosauriern der Arbeiterbewegung.“ Darauf Wieland über Lindner: „Ich hielt ihn schuldmindernd für beschwipst. Er ist a little bit crazy, auch wenn er Milchkaffee trinkt.“ Ein bisschen Denglisch musste sein; so wirkte das Gift nicht ganz so giftig. Alle kringelten sich vor Lachen. Aber was machen sie jugendpolitisch? Keine Ahnung.

-

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false