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Anti Atom

© ddp

Gorleben: Anti-Atom-Demo verbindet Generationen

Gorleben verbindet: Zur Anti-Atom-Demo zogen Protestveteranen und ihre Enkel gemeinsam durch Berlin.

Die rote Sonne auf gelbem Grund ist wieder da. „Atomkraft – nein danke“ in der Grundform, aber auch kämpferisch mit Faust oder, leicht selbstironisch, mit würgendem Comic-Tier anstelle der Sonne: „Atomkraft – pfui Deibel“. Zusammen mit dem Symbol sind auch die siebziger Jahre zurückgekehrt: 1979 führte der erste Protesttreck der wendländischen Bauern auf Hannover, am gestrigen Sonnabend, 30 Jahre danach, führte ein neuer auf Berlin. Einige hundert Traktoren rollten am Vormittag von Westen her in die City, dazu kamen geschätzte 35 000 Menschen, die mit Bussen aus allen Teilen Deutschlands angereist waren und sich zu einer Abschlusskundgebung am Brandenburger Tor trafen.

Die eigentliche Demonstration unter dem nach Wochenendausflug klingenden Motto „Einfach mal abschalten“ begann um 13 Uhr am Hauptbahnhof. Rund 45 Traktoren setzten sich an die Spitze des Zuges. Am Steuer des ersten: Giselher Kühn, ein 48-jähriger Landwirt aus dem Wendland, der dort seit über zwei Jahrzehnten einen Milchhof mit 30 Schafen betreibt. Zufall, dass er vorn ist, sagt er, er ist kein Anführer, denn den hat die „Bäuerliche Notgemeinschaft“ nicht, die den Ort Gorleben als Symbol des Anti-Atomkraft-Protests am Leben erhält. Kühns Deutz-Traktor, ziemlich genau so alt wie er selbst, trägt die Insignien der Bewegung: das gelbe Andreaskreuz, die giftig schwarz-gelben Atom-Tonnen, die rot-grüne Wendland-Sonne und das etwas jüngere, schon zum Logo gereifte Bild vom Frosch, der im Schnabel eines Storchs steckt, ihn aber unverdrossen am langen Hals würgt – die Mahnung, niemals aufzugeben. „Wir haben keine Alternative“, sagt Kühn.

Weiter hinten folgt ein kleiner Rosenmontagszug mit einer kleinen Band, die von Solarstrom etwas labil versorgt wird, mit einem Wagen voller gelber Tonnen, der sanft ironisch mit einem CDU-Plakat „Sicher leben“ behängt ist; die Castorgruppe Breselenz hat eine windschiefe Angela Merkel dabei, die auf einem unheilvoll dampfenden Castor-Behälter sitzt. Schwerblütige Reime („Heute unsere Trecker rollen, weil wir den Atommüll nicht wollen“) tropfen holprig von den Bettlaken, ein Bauer zieht auf einem Anhänger einen tonnenschweren Findling hinter sich her, und ein Wagen mit fünf Schweinen im Managerhabit illustriert die These „Der Trog bleibt, die Schweine wechseln“. Die zum großen Teil historischen Traktoren dieseln asthmatisch durch die Umweltzone, die blauen Wolken sind wie Schnaps auf einem Abstinenzlertreffen, aber die Polizei sieht diplomatisch über den eklatanten Mangel an Plaketten hinweg – schließlich fegt der straffe Herbstwind den Mief gnädig sofort wieder aus der Stadt.

Vom Hauptbahnhof zum Friedrichstadtpalast, dann Richtung Unter den Linden, durchs Regierungsviertel am Reichstag vorbei über das russische Ehrenmal zum Brandenburger Tor, Westseite. Die Organisatoren sind offenbar überrascht von der Resonanz, die Lautsprecher der Bühne tragen nicht allzu weit, und angeblich spannt sich der gesamte Zug über eine Strecke von vier Kilometern; vorn parkt Giselher Kühn seinen Deutz vor der Bühne ein, während sich hinten am Hauptbahnhof die letzten Demonstranten gerade erst in Bewegung setzen.

Die Wahlplakate auf der Strecke bleiben unbehelligt, die Stimmung ist mehr als friedlich, obwohl sich unter die traditionellen rot-gelben Sonnen auch eine schwarz-weiße Variante mischt, eine zickige mit schwarzem Dreiecktuch vor dem Mund, die gewisse Assoziationen an den Kreuzberger 1. Mai weckt. Im Zug flattern die zu erwartenden Symbole. Die Jusos sind stark vertreten, die Grünen sowieso – am Rande betrachten gereifte grüne Funktionsträger wie Wolfgang Wieland und Volker Ratzmann das Treiben der Nachgeborenen. Die Installation vor dem Tor ist aufwendig, neben der großen Bühne funkelt sogar erstmals in der Geschichte der Anti-AKW-Bewegung eine Videowand, und ein liebevoll gebasteltes, mehrere Meter hohes Trojanisches Pferd warnt vor dem Hauptfeind, der CDU/CSU: aus den Bauch purzeln die gelben Atomfässer heraus.

Schon ein flüchtiger Blick auf die Teilnehmer zeigt: Die Furcht vor der Kernkraft hat die Generationsgrenze übersprungen. Es gibt noch die in unzähligen Aktionen ergrauten Gorleben-Veteranen, aber das Thema mobilisiert auch eher biedere Großstadtbürger und deren Kinder, junge Paare, Punks und Naturschützer. T-Shirts drücken die Sympathie der Träger für Greenpeace und Grundeinkommen aus, werben für frauengegenatom.de und, unvermeidlich, für Mumia Abu-Jamal, der wegen Polizistenmords in den USA in der Todeszelle sitzt. Von der Bühne krähen vier Mädchen aus dem Wendland, die den Teilnehmern als „die deutschen Dixie Chicks“ vorgestellt werden, dann übernimmt eine rüde Rockband. Über den Platz ziehen die friedvollen Rauchschwaden der Bio-Rostbratwürste, während ganz hinten, Richtung Siegessäule, immer noch Demonstranten nachdrängen.

Giselher Kühn hat inzwischen seinen Traktor abgestellt und peilt die Lage. Es wird noch ein langer Abend werden, bis die ruckelnden Gefährte zurück in Gatow sind, wo sie dann auf Tiefladern eingesammelt und wieder ins angestammte Wendland zurückgebracht werden. Das Thema, für das sie gekommen waren, bleibt zurück bei den Politikern in Berlin.

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