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Berlin: Gott sei Dank

Robert Bellin tauscht die Jeans regelmäßig gegen einen Rock und arbeitet an Feiertagen beinahe rund um die Uhr. Es ist nicht leicht, ein Ministrant zu sein.

Kein frisches Lächeln, kein flotter Spruch, keine übertriebene Hektik. Es ist Freitag, kurz nach zehn Uhr. Robert Bellin gibt sich bescheiden und wortkarg. Vielleicht liegt es daran, dass er gerade aufgestanden ist. Vielleicht hat seine Zurückhaltung einen anderen Hintergrund. Es ist Karfreitag, der Todestag Jesu. Robert Bellin sagt: „Ich bemühe mich, angemessen zu trauern.“ Das hört sich befremdlich an. Doch der 17-Jährige ist Ministrant, und an diesem Karfreitag gab’s zum Frühstück ein bisschen Brot, am Abend dann Suppe. Wurst darf er nicht essen, „wir halten uns an diesem Trauertag zurück“.

Der Trauertag findet in der Osternacht zu Sonntag sein Ende. Bellin wird um 21 Uhr vor der Kirche der katholischen St. Matthias-Gemeinde stehen, in einem Kreis um das kleine Osterfeuer auf dem Winterfeldtplatz. Dann wird die Osterkerze entzündet, der Diakon läuft mit ihr in die stockfinstere Kirche. Die Menschen darin werden schweigen. „Lumen Christi“ wird der Diakon rufen, drei Mal, immer lauter, „Licht Christi“ heißt das. Und jedes Mal antworten die Menschen „Deo Gratias“ – Gott sei Dank. Wenn die Kerze vorn vor dem Altar angelangt ist, wird daran jeder seine eigene kleine Kerze anzünden. Die Kirche wird hell werden, mit jeder Kerze ein bisschen mehr. „Ich freue mich darauf, es ist schön, so etwas zu erleben.“ Lumen Christi. Bellin lächelt.

Der junge Mann erzählt das detailliert, voller Ehrfurcht, aber nie fanatisch. Dabei hält er sich für einen ganz normalen Jugendlichen. Andere spielen in seinem Alter Fußball, trinken Dosenbier und interessieren sich für Frauen. Bellin macht das auch, aber „angemessen“, wie er es ausdrückt. Nebenbei hilft er halt in der Kirche aus. Da sei er einfach hineingewachsen durch seine christliche Erziehung, durch die täglichen Gebete bei Tisch und durch die Kirchgänge. Er ist eine Art Helfer des Pfarrers. „Im Westen Deutschlands sagt man Messdiener, in Berlin sagt man Ministrant.“ Bellin ist Oberministrant, bis zum Herbst noch, „dann wird neu gewählt.“ Seit anderthalb Jahren macht er den Job. Ein Jahr hat die Ausbildung zum Ministranten gedauert. Er musste lernen, wie man sich in der Kirche bewegen darf („vor allem langsam“) und „du musst im Groben kapieren, was Sache ist“. An Bellins Hals hängt eine kleine, silberne Kette mit einem Kreuz. In der Grundschule haben ihn früher ein paar Jungs „Kettchenträger“ genannt und ihn ausgelacht, weil er sich so für die katholische Kirche engagiert. „Die haben mich oft verarscht, aber sie haben mich in der Sache nicht verunsichert“, sagt er. „Ich habe da erst gemerkt, dass ich etwas Besonderes mache. Und ich mache es gern.“ Bellin geht auf das katholische Canisius-Kolleg in Tiergarten.

In der Nacht zu Sonntag wird die Auferstehung Jesu gefeiert. Die Ministranten tragen einheitliche Kleidung, einen roten Rock, einen roten Kragen, darunter ein weißes Rochett, ein Hemd. „Rot ist eine liturgische Farbe“, sagt Bellin. Den einzelnen Festen sind verschiedene Farben zugeordnet. Violett etwa für die Fastenzeit, schwarz für Trauerfälle, „und Rot steht für Blut und Feuer, aber auch Liebe und Leben“.

Wenn sie am Abend mit der Kerze durch die stille, dunkle Kirche laufen, gehen vorneweg zwei Ministranten mit Weihrauchgefäßen. „Weihrauch ist kostbar“, sagt er. Außerdem soll er versinnbildlichen, dass mit dem aufsteigenden Duft auch die Gebete zum Himmel getragen werden. Nach der Feier werden sie sich in der Wohnung des Pfarrers in der Kirche treffen, „da gibt’s dann Osterwasser, also Wein und Saft“. Danach hat Bellin „Feierabend“. Der Sonntag, wenn die Auferstehung Christi gefeiert wird, ist der Höhepunkt. „Danach geht’s mit der Familie zu Oma.“ Und Oma wird „richtig auftischen“. Das Osterfest kann beginnen.

André Görke

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