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Berlin: Gravierende Sprachdefizite: In Wedding kann nur jeder vierte Erstklässler ausreichend Deutsch

Weddinger Kinder werden mit gravierenden Sprachdefiziten eingeschult. Selbst ein Großteil der Kinder deutscher Herkunft braucht eine zusätzliche Förderung in seiner Muttersprache, wenn er in die Schule kommt, ergab eine aktuelle Sprachstandserhebung unter allen Weddinger Erstklässlern.

Weddinger Kinder werden mit gravierenden Sprachdefiziten eingeschult. Selbst ein Großteil der Kinder deutscher Herkunft braucht eine zusätzliche Förderung in seiner Muttersprache, wenn er in die Schule kommt, ergab eine aktuelle Sprachstandserhebung unter allen Weddinger Erstklässlern. Insgesamt beherrscht nur ein knappes Viertel der Abc-Schützen die deutsche Sprache hinreichend. Ähnliche Erfahrungen gibt es auch in anderen Bezirken.

Untersucht wurde an allen 20 Weddinger Grundschulen. Von den 1411 Erstklässlern sind 443 deutscher Herkunft. Insgesamt besuchten über 90 Prozent eine vorschulische Einrichtung, also die Kita oder eine Vorklasse. Dennoch brauchen über 75 Prozent der überprüften Kinder eine Förderung im Deutschen, davon über 40 Prozent sogar eine "intensive Förderung". Selbst in der letztgenannten Gruppe befinden sich noch 45 Kinder deutscher Herkunft. Insgesamt benötigen lediglich 243 deutsche und 90 nichtdeutsche Kinder keine Förderung.

Die Erhebungweise letztendlich auf die sozialen Probleme der Region hin, resümiert der Koordinator der Sprachstandsmessung, Andreas Pochert. Die Spracharmut der zu fördernden Kinder entspreche ihrer sozialen Armut und sei nicht den Kitas und Vorschulen anzulasten: "Die Defizite, mit denen die Kinder ankommen, sind so groß, dass sie selbst bei einer durchschnittlich dreijährigen Betreuungszeit in Kita und Vorschule nicht mehr aufgefangen werden können", beschreibt Pochert die Ausgangslage. Und das gilt eben auch für viele deutsche Kinder. Dass sie trotz deutscher Eltern Probleme mit der Sprache haben, hängt damit zusammen, dass Alkohol, Drogen, Arbeitslosigkeit oder Beziehungsunfähigkeit der Eltern ihre häusliche Welt prägen.

Brigitt Zimmermann, Ärztin beim Weddinger Jugendgesundheitsdienst, nennt als Beispiel den sechsjährigen Marcel (Name v. d. Red. geändert). Obwohl normal begabt, begann er erst im dritten Lebensjahr mit dem Sprechen. Emotionale Zuwendung, abendliches Vorlesen, ruhiges miteinander Sprechen - all dies hat er nie erlebt. Infolge ihrer sozialen Inkompetenz schaffte es seine Mutter noch nicht einmal, ihn regelmäßig in die Kita zu bringen. Marcels Zähne bestehen aus braunen Stümpfen, da sich niemand um die Pflege des Kindes kümmerte.

Angesichts der großen Probleme hält Neuköllns Volksbildungsstadtrat Wolfgang Schimmang (SPD) die Mittel für Personalzuschläge in sozial benachteiligten Gebieten für zu gering. So kämen in Neukölln nur etwa 48 zusätzliche Stellen auf 3000 Kinder. Um mehr Personalmittel vom Parlament zu bekommen, müsse man den Abgeordneten aber verlässliche Daten vorlegen: Deshalb verlangt er berlinweite Sprachstandsmessungen nach Weddinger Vorbild. Zudem müsse in den Problemgebieten der Kita-Beitrag für alle auf den Mindestsatz abgesenkt werden, um finanzielle Hürden abzubauen.

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