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Berlin: Greenpeace will Strom an Öko-Kunden liefern

BERLIN .Der deutsche Strommarkt ist seit dem vorigen Jahr frei.

BERLIN .Der deutsche Strommarkt ist seit dem vorigen Jahr frei.Davon profitieren nicht nur das Berliner Abgeordnetenhaus und Schering, die gerade den Dumpingpreisen der Energie Baden-Württemberg erlegen sind.Sie haben sich offiziell von der Bewag verabschiedet.Bald könnten auch private Kunden folgen.Vom Herbst an will die Umwelt-Organisation Greenpeace "sauberen" Strom für Einzelkunden anbieten - nicht billiger, sondern zunächst eher teurer.2000 der bundesweit 60 000 Interessenten stammen aus Berlin.Die Bewag wird einer solchen Abwanderung nach Einschätzung des Bundeskartellamtes nichts in den Weg legen können.Prinzipiell kann sich heute jeder Kunde seinen Strom selber auf dem Markt suchen.

Greenpeace in Hamburg bereitet gerade eine Ausschreibung unter den etwa 20 deutschen Firmen vor, die politisch korrekten Strom liefern könnten.50 Prozent sollen dabei aus Kraft-Wärme-Kopplung mit Gasbetrieb kommen, die andere Hälfte aus regenerativen Energien (Biomasse, Wind, Wasser, Sonne).Dabei wird die Netzgebühr für die Durchleitung des Fremdstroms der finanzielle Haken sein.Wie Sven Teske bei Greenpeace gestern sagte, verlangen die Stromkonzerne zehn bis zwölf Pfennig pro Kilowattstunde, die durch ihr Netz fließt.

Wenn diese Gebühr auf sieben Pfennig gedrückt werden könnte, wäre nach Angaben der Umwelt-Organisation ein "sauberer" Strompreis von 35 bis 37 Pfennig zu erreichen - nur ein paar Pfennig über dem deutschen Durchschnitt.Ein Umwelt-Obolus eben.Die Bewag verlangt von ihrem durchschnittlichen Haushaltskunden zur Zeit gut 34 Pfennig, was immerhin etwas weniger als in Hamburg oder München ist.

Was Greenpeace kann, könnten auch andere.Und zwar nicht aus ökologischen, sondern aus finanziellen Motiven - um sich den billigsten Anbieter zu suchen."Es gibt keinen Grund, warum andere das nicht auch machen sollten", sagte gestern der Sprecher des Bundeskartellamtes, Eike Sacksofsky.Die Frage könnte vor allem aktuell werden, wenn "Energie-Broker", also Strom-Händler, sich auf dem Markt etablieren sollten.

Dabei kommen dann ökologische und arbeitsmarktpolitische Probleme ins Spiel.Das Abgeordnetenhaus hängt theoretisch jetzt an südwestdeutschem Atomstrom.Nicht nur deshalb waren die Grünen im Parlament gegen den neuen Strom-Liefervertrag.Sie halten es für falsch, daß ein Organ des Landes Berlin erstens zu einem Dumpingpreis kauft, zweitens die günstige Kraft-Wärme-Kopplung der Bewag übergeht und drittens Arbeitsplätze in der Stadt gefährdet.Das Land solle dort Strom kaufen, so der grüne Sprecher Berger, wo es einen hohen Anteil an Kraft-Wärme-Kopplung und einen hohen Anteil erneuerbarer Energien gebe.Das hatte die Bewag auf den letzten Drücker bei ihrem Parlamentsangebot noch versucht: Sie bot Strom an, der auch aus Sonnen- und Windenergie erzeugt werden sollte.Der Parlamentspräsident sah aber nur den billigen baden-württembergischen Preis.

Keine Garantie gegen Atomstrom

Seit dem Mai vorigen Jahres gilt in Deutschland die EU-Regelung des freien Strom-Marktes.Nach den Vorstellungen von Greenpeace können umweltbewußte Kunden dies nutzen, um "saubere" Energie zu unterstützen: Wenn die Organisation in der Hansestadt einen oder mehrere Anbieter gefunden hat, sollen die Interessenten bei ihrem heimischen Stromlieferanten kündigen und einen Vertrag mit der Öko-Firma schließen.Diese müßte sich dann vom alten Lieferanten ein elektronisches Anforderungsprofil des Kunden schicken lassen: Was verbraucht er und wann verbraucht er seinen Strom? Schließlich müßten sich das alte und das neue Liefer-Unternehmen über die Netzbenutzung einigen.Eine Garantie gegen Atomstrom ist das alles aber nicht.Niemand kann wissen, woher sein Strom gerade kommt.Niemand kann etwas gegen "schmutzigen" Strom tun.Man kann nur eins tun: Einen "sauberen" oder einen billigen Produzenten unterstützen.- pen

NACHGEFRAGT

Im Stromnetz mischen sich die "Sonderangebote"

Wie die Energie im europäischen Verbundnetz zum Kunden kommt

Fachleute vergleichen das Stromverbundnetz gerne mit einem Teich oder See.Greenpeace benutzt dieses Bild.Bewag-Sprecher Siegfried Knopf auch.Viele Kraftwerke und viele Stromkonzerne füllen Strom in den allgemeinen See hinein.Viele Verbraucher zapfen ihn an.Dabei handelt es sich nicht etwa nur um einen Berliner oder einen deutschen See.Das europäische Verbundnetz reicht, wie Knopf sich ausdrückt, inzwischen vom Nordkap bis Sizilien.

Braucht ein Versorgungsnetz etwa infolge eines Kraftwerksausfalls zusätzlichen Strom, so wird er von auswärts herangeholt.Die Bewag verkauft im Jahresdurchschnitt etwa 75 bis 80 Prozent selbstproduzierte Ware.Der Rest kommt von außen.Manchmal kauft sie auch billige Sonderangebote ein und drosselt dafür die Produktion ihrer Berliner Kraftwerke.

In dem "See" vermischen sich also die unterschiedlichsten Quellen und ökologischen Qualitäten.Steigt ein Kunde bei seinem bisherigen Versorger aus, dann bezieht er weiter Mischstrom aus dem allgemeinen Angebot.Rechnerisch bedeutet es allerdings, daß sein alter Versorger seine Produktion entsprechend drosselt und sein neuer Lieferant seine Herstellung entsprechend erhöht.Den Bedarf ermittelt das Netz-Unternehmen mit einer aufwendigen Meßapparatur.Der Kunde schließlich muß für die theoretische Liefermenge eine Durchleitungsgebühr an den Netzbetreiber bezahlen, in dessen Bereich er wohnt.- pen

HANS TOEPPEN

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