zum Hauptinhalt

Berlin: Gregor Gysi: Interview: "Ich kann schlecht mit einer echten Niederlage leben"

Herr Gysi, hat Sie der Wahlkampf nervös gemacht?Nein, aber angestrengt.

Herr Gysi, hat Sie der Wahlkampf nervös gemacht?

Nein, aber angestrengt. Ich habe die ersten Wochen damit verbracht, mich in die Landespolitik einzuarbeiten. Ich habe sehr viele Gespräche mit Verantwortungsträgern geführt. Das war alles sehr interessant, aber es ist auf Dauer anstrengend.

Für die PDS sieht es nicht nach dem erhofften Zugewinn aus. Hat der Wahlkampf für Ihre Chancen zu lange gedauert?

Zum Thema Online Spezial: Berlin-Wahl 2001 WahlStreet.de: Die Wahlbörse bei Tagesspiegel Online Umfragen/Prognosen: Wenn in Berlin am Sonntag gewählt würde... Frage des Tages: Die fünf Spitzenkandidaten zu ihren politischen Absichten Umfrage: Gehen Sie am Sonntag wählen? Foto-Tour: Die Berliner Spitzenkandidaten Video-Streams: Diskussion mit den Spitzenkandidaten Er war sehr lang. Aber wir werden unser Wahlziel 20 plus X erreichen. Zu Beginn des Wahlkampfes gab es in Berlin eine Aufbruchstimmung unter Einschluss eines Experimentes, nämlich eine PDS im Senat. Nach den Anschlägen in den USA waren alle sehr geschockt. Viele sagten sich dann: nicht zu viel Experimente, lieber Beständigkeit. Das verstehe ich sogar. Deshalb sahen die Umfrage-Ergebnisse für die PDS unmittelbar danach schlechter aus. Dann spielte die Berlin-Problematik wieder eine größere Rolle. Hinzu kam die militärische Antwort der USA, die die PDS nicht gutheißt. Seitdem schauen die Umfrageergebnisse wieder besser aus. Ich bin deshalb hoffnungsvoll, dass wir das Ergebnis 20 plus X schaffen.

Sie gelten als politischer Entertainer. Ist die Distanz zwischen Ihnen und der PDS-Basis durch den Wahlkampf geringer geworden?

Ich hatte nie Schwierigkeiten mit der Basis der Partei. Manchmal denkt die Basis anders als ich, aber ich kann gut mit ihr reden und sie nicht selten auch überzeugen. Das war übrigens auch ein Wahlkampfziel, die Kluft zwischen der PDS und mir zu verringern. Ich war sehr angenehm überrascht, dass sich die Mehrheit auf dem Parteitag in Dresden deutlich für den Reform-Programmentwurf ausgesprochen hat.

Die PDS hat sich in Dresden als Friedenspartei empfohlen. Machen Sie es sich in Sachen Kampf gegen den internationalen Terrorismus nicht zu einfach?

Die anderen machen es sich zu einfach. Als größte Militärmacht einfach zu bombardieren und zu sagen "Irgendwann treffen wir auch mal die Richtigen" - das ist meines Erachtens falsch. Warum werden denn Ermittlungsergebnisse über Tatbeteiligte des Anschlags vom 11. September nicht einem Haftrichter in New York vorgelegt...

Es ist doch ein naiver Glaube, man könnte bin Laden durch eine Polizeiaktion einfangen.

Er wird sich nicht nach einem internationalen Haftbefehl stellen. Das ist klar. Der zweite Schritt wäre ein Auslieferungsersuchen. Sollte ein Staat nicht ausliefern, dann wäre ein Kommandounternehmen zur Ergreifung der Täter zu überlegen. Was jetzt aber passiert, ist Krieg, der Unschuldige tötet und neuen Zorn schürt. Die Position der PDS heißt: Wir lehnen Vergeltungsschläge ab. Die Reaktion von Bundeskanzler Schröder hat mich sehr erschreckt, der kritiklos alles mitmachen will und angekündigt hat, er werde die PDS nicht mehr informieren. Die Bundesregierung gehört nicht einer Partei und muss auch Widerspruch ertragen.

Am Sonntag wird gewählt. Wie wollen Sie im Ostteil der Stadt stark bleiben und im Westteil zulegen?

Für die West-Berliner hatte die PDS nicht nur die falsche Vergangenheit, sie war ihnen auch völlig fremd. Sie wurde lange nicht akzeptiert. Ich habe jetzt sehr viel mehr Sachlichkeit mir gegenüber festgestellt als früher. Mein Ziel ist, die 40-Prozent-Marke im Osten und die Fünf-Prozent-Marke im Westen zu überspringen. Diese fünf Prozent haben für mich symbolische Bedeutung als Legitimation für die Senatsbeteiligung. Heimlich hoffe ich auf sechs Prozent.

Die Koalitionsfrage ist offen. Womit rechnen Sie, wenn es für Rot-Grün nicht reicht?

Wenn dann die Ampel rechnerisch möglich ist, heißt die Alternative ganz klar, entweder SPD und PDS oder SPD, Grüne und FDP. Nun kann man spekulieren, warum die SPD sich vorher nicht festlegt. Ich bin überzeugt, die Festlegung der SPD auf die FDP würde sie eher Stimmen kosten als die Festlegung auf die PDS. Gerade SPD-Wähler wissen, dass FDP Sozialabbau bedeutet. Das spricht dafür, dass die SPD mit der FDP liebäugelt. Dann hätte sie eine Entschuldigung für Sozialabbau. Der Senat hat bisher keine Eckdaten für den Haushalt 2002 vorgelegt.

Die FDP ist wie die SPD für strenge Haushaltskonsolidierung.

Die PDS hat das solideste und weitestgehende Konsolidierungsprogramm vorgelegt.

Können Sie sich wirklich vorstellen, dass die SPD das Risiko Rot-Rot eingeht? Das wäre doch Sprengstoff für die SPD und die Stadt.

Das glaube ich nicht. Die Lösung von der Großen Koalition hat der SPD Zustimmung gebracht, obwohl Strieder und Wowereit von Anfang an gesagt haben, eine Koalition mit der PDS sei möglich, wenn es für Rot-Grün nicht reichte. Eine SPD / PDS-Koalition müsste noch vorhandene Ängste zügig abbauen. Aber sie würde wahrscheinlich mehr Aufregung in den Medien hervorrufen als bei den Bürgern. Es war der große Irrtum der CDU, dass sie dachte, die SPD wäre durch den Sündenfall des Regierungswechsels mit Hilfe der PDS erledigt. Jetzt sollte die SPD den Mut aufbringen, mit der PDS zusammenzugehen.

Warum sagen Sie nicht, auf welches Senatsressort Sie aus sind?

Ich will ja Regierender Bürgermeister werden. Wenn das nicht geht, auch Senator. Da interessieren mich die Gebiete Wirtschaft, Bildung, also Schule, Jugend, Sport, und Kultur und Wissenschaft. Ich sage das nicht konkreter, es wäre taktisch falsch. Sobald ich mich festlege, würde es Verhandlungsgegenstand werden.

Bleiben Sie dabei, dass es nicht wieder einen PDS-tolerierten rot-grünen Minderheitssenat gibt?

Ja, ich bin strikt dagegen. Das wäre kein stabiler Senat und für die Stadt nicht gut. Der vergisst dann regelmäßig, die PDS zu fragen, und die könnte zickig reagieren. Das geht nicht.

Fraktionschef wollen Sie auch im Fall der Opposition nicht werden?

Nein.

Dann bleiben Sie im Bundestag?

Ja, denn als Regierungsmitglied hätte ich für den Verzicht auf das Bundestagsmandat vor meinen Wählern in Hellersdorf und Marzahn einen guten Grund. Ich könnte für sie Konkreteres tun.

Ihr Wahlziel ist 20 plus X. 1999 holte die PDS 17,7 Prozent in Berlin. Würden Sie bei Verlusten ganz aus der Politik ausscheiden?

Nein. Aber es wäre eine erhebliche Niederlage. 1999 hatten wir unser Wählerpotenzial ausgeschöpft. Daher ist das Ziel 20 plus X ehrgeizig. Wenn wir das erreichen, bin ich ein bisschen stolz. Es ist eine Herausforderung, Wähler zu gewinnen, die sich 1999 noch gar nicht vorstellen konnten, PDS zu wählen.

Eine Frage auf Ehre und Gewissen. Sind Sie ein guter Verlierer?

Im Spiel kann ich ganz gut verlieren. Und im politischen Spiel kann Verlieren Spaß machen, wenn man symbolisch kandidiert, um andere zu ärgern. Aber ich kann schlecht mit einer echten Niederlage leben. Es ist doch eine Blamage, wenn alle erwarten, dass du gewählt wirst, und du wirst dann nicht gewählt. Ich wäre auch etwas beleidigt.

Und wenn Sie nicht Senator werden, sind Sie dann beleidigt?

Nein, bei einem Wahlergebnis von mehr als 20 Prozent ist mein Ziel erreicht. Wenn ich Senator werde, dann mit intellektuellem Ehrgeiz, dann will ich auch Spuren hinterlassen. Aber: Wenn die SPD "rumampelt", wird sie sich wundern. Dann wird es ordentlich Druck geben von zwei Volksparteien namens CDU und PDS.

Herr Gysi[hat Sie der Wahlkampf nervös gemac]

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false