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Berlin: Grenzland an der Einflugschneise

Berliner Wahlkreise – Folge 9: Der fusionierte Bezirk Tempelhof-Schöneberg ist nach der politischen Stimmung immer noch zweigeteilt

Selbst in der CDU schrecken einige noch vor den Steuerplänen Paul Kirchhofs zurück. Das ist gut für Hartmut Ebbing. Denn seine Sympathien für Kirchhofs radikale Vorschläge sind für den unbekannten FDP-Kandidaten eine Chance, in einem aussichtslosen Kampf um das Direktmandat in Tempelhof-Schöneberg wenigstens etwas aufzufallen.

Nun ist auffallen nicht gleich punkten. In Schöneberg, das steht schon vor der Wahl fest, spielt die FDP keine große Rolle. Denn Schöneberg steht im Ruf, ein Wohnbezirk mit vorherrschend linker oder linksliberaler Gesinnung zu sein: schillernd, großstädtisch, mit Restaurants, Cafés und Bars. Ein wenig anders sieht das in Tempelhof aus. Tempelhof gilt als bürgerlich, und ist mit einer beachtlichen Anzahl von Kleingärten ausgestattet; rund 5000 sind es. Dementsprechend schneiden in Schöneberg SPD und Grüne bei Bundestagswahlen regelmäßig gut ab; während die überwiegend bürgerlich-konservative Klientel in Tempelhof tendenziell eher der CDU zugeneigt ist.

Ein Bezirk, zwei Teile. Die Schweißnaht der Bezirksreform von vor vier Jahren ist noch gut sichtbar: Die Arbeitslosenquote liegt in Tempelhof-Schöneberg mit 19,4 Prozent gut zwei Prozent über dem Berliner Schnitt; aber die Anteile sind ungleich verteilt: Im Schöneberger Norden, wo die Zahl ausländischer Langzeitarbeitsloser weiter steigt, ist sie deutlich höher als in Mariendorf, Marienfelde oder Lichtenrade. Zwar will selbst der CDU-Sozialstadtrat des Bezirks nicht das Klischee stützen, wonach der Tempelhofer Süden frei sei von sozialen Problemzonen. Unbestritten aber gibt es in dem mit 338000 Einwohnern nach Pankow bevölkerungsstärksten Berliner Bezirk nördlich und südlich der Schweißnaht deutliche Mentalitätsunterschiede. Fragt man die Menschen beider Bezirksteile, was sie mit dem jeweils anderen Teil verbindet, ist die häufigste Reaktion ein Schulterzucken. Ein Umstand, der die wahlkämpfenden Spitzenkandidaten Zuflucht zu Worthülsen suchen lässt. Sie sprechen wahlweise von „großer Vielseitigkeit“ oder einer „bunten Mischung“.

Diese bunte Mischung hat der SPD bei der vergangenen Bundestagswahl noch 35 Prozent beschert, der CDU 32 Prozent und den Grünen 18,7 Prozent. Interessanter als das Ergebnis war die Entwicklung: Die Grünen hatten deutlich hinzugewonnen, die CDU leicht; die SPD dagegen verlor satte 4,2 Prozentpunkte. Dieses Mal geben Wahlforscher der Union gute Chancen, die SPD zu überflügeln. CDU-Mann Peter Rzepka wünscht Satisfaktion. Vor drei Jahren verlor der Steuerexperte das Duell gegen den SPD-Kulturpolitiker Eckhardt Barthel hauchdünn. Jetzt sehen ihn die Wahlforscher vor der SPD-Linken Mechthild Rawert. Und vor Renate Künast, der mit Abstand prominentesten Kandidatin im Wahlkreis 82. Die Bundesverbraucherschutzministerin hat zwar kaum Siegchancen, doch laut Umfragen kann sie mit 20 Prozent der Erststimmen rechnen. In einigen Schöneberger Vierteln, wo die Grünen zuletzt fast so gut abschnitten wie in Kreuzberg, wären sogar 25 Prozent oder mehr keine Sensation.

Ob Künast für ihre Partei auch wichtige Zweitstimmen mobilisieren kann, hängt entscheidend davon ab, wie die Gegend rund um den Nollendorfplatz mit ihrer Künstler-Szene und dem schwul-lesbischen Zentrum stimmt. Ob sie im Bayerischen Viertel punktet, einer bürgerlichen Gegend im Schöneberger Westen. Und ob man in Friedenau den Grünen Vertrauen schenkt: In der einstigen Villenkolonie im Schöneberger Süden, wo es außer fünfgeschossigen Mietshäusern noch immer ruhige Altbauten mit Vorgärten in gehobener Preisklasse gibt.

Dagegen setzt die Union neben Arbeitsmarktpolitik vor allem auf zwei Themen: die Frage, wie man künftig mehr Firmen in den Bezirk holt und die Zukunft des Flughafens Tempelhof. Die Chancen für die CDU stehen gut. Und die SPD im Bezirk hofft wie die Bundespartei darauf, dass die Wähler sie als die sozialere der beiden großen Parteien wahrnehmen. Und dass der jüngste, noch ganz zarte Aufwärtstrend sie beflügelt.

Marc Neller

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