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Berlin: Groß und Klein in einem Klassenzimmer

An der Peter-Petersen-Grundschule in Neukölln werden drei Altersgruppen zusammen unterrichtet

Von Susanne Vieth-Entus

Schulen machen sich fit für die Zukunft - und der Tagesspiegel ist dabei. Nach dem schlechten Abschneiden Berlins bei der Pisa-Studie stellen wir Schulen vor, die wichtige Reformen von sich aus angestoßen haben. Heute widmen wir uns einer Neuköllner Grundschule, die Vorreiter bei der Altersmischung in allen Klassenstufe ist.

Die Schule. Die bekannte Neuköllner Grundschulgleichung „kaputte Gegend plus schwierige Schüler gleich schwaches Niveau" geht an der Peter-Petersen-Schule nicht auf. Das hat viele Gründe, kostete etliche Jahre Zeit und brauchte die Entschlossenheit der Schulleiterin Ruth Weber und ihrer Kollegen. Denn die Schule mit ihren 370 Schülern und 24 Lehrern liegt mitten im sozial schwierigen Hermannstraßen-Kiez und hat rund 50 Prozent Schüler nichtdeutscher Herkunft. Heute gilt der alte Backsteinbau als Mekka für reformfreudige Pädagogen und Hochschullehrer und ist eine der anerkanntesten Lernorte der Stadt.

Das Besondere. Angefangen hat alles 1984 mit dem 100. Geburtstag von nsgeber Peter Petersen. Damals besann sich das Kollegium nach einem Hinweis der damaligen Schulsenatorin Hanna-Renate Laurien auf die Ideen des Schulreformers und seinen „Jenaplan". Wichtiger Bestandteil des Jenaplans ist, dass der Unterricht überwiegend in altersgemischten Klassen stattfindet, die nicht mehr „Klassen“ sondern „Stammgruppen“ heißen. In diesen Stammgruppen lernen Erst- bis Drittklässler und Vier- bis Sechstklässler zusammen.

Die Altersmischung bewirkt, dass die Jüngeren sich von den Älteren helfen lassen können, während die Älteren in Zusammenarbeit mit den „Kleinen“ bereits behandelten Stoff wiederholen. Dies kommt dem Lernen zugute, der sozialen Kompetenz, und überdies wird es für die Lehrer zur Selbstverständlichkeit, die Unterschiedlichkeit der Kinder zu berücksichtigen.

Den Rhythmus gibt nicht mehr die Klingel vor, die nach 45 Minuten alle Aktivitäten lahm legt. Stattdessen können die Lehrer je nach Tagesform der Kinder und je nach Thema ihren Rhythmus selbst wählen. Das Lernziel wird immer montags mit dem Wochenplan vorgeben. Am Ende der Woche steht eine Abschlussfeier mit Aufführung, Präsentation und einem besinnlichen Ausklang. Wer bei dieser Beschreibung an „Kuschelpädagogik" denkt und die bange Frage stellt, ob vor lauter Reformeifer hier auch noch Stoff vermittelt wird, erfährt bei einem Besuch der Schule schnell Beruhigendes: Hier wird gelernt! Nur eben anders.

Gehen wir zum Beispiel in die „Stammgruppe" von Verena Vollmer, wo die Erst- bis Drittklässler zusammen sind. Jedes Kind weiß dank Wochenplan genau, was es zu tun hat. Da ist der sechsjährige Jean-Tayfun, der eine Rechenaufgabe im Zahlenraum bis 20 löst. Er gehört zu den Jüngsten, die hier in der altersgemischten Stammgruppe „Sonnenkinder" heißen. Während also Jean-Tayfun 6 plus 6 rechnet, sitzt neben ihm das siebenjährige „Mondkind" Alina. Sie fragt sich, wie man das Wort "Puppensache" trennt, weil sie gerade ihre Erlebnisse vom Wochenende aufschreiben soll. Und das achtjährige „Sternenkind“ Lara will schnell was in ihr Geschichtenheft schreiben, „damit sie es nicht vergisst", während sich die anderen zwei Sternenkinder Beyza und Jovanka der Addition dreistelliger Zahlen hingeben.

Verena Vollmer kann mit dieser Vielfalt an Nationen, Begabungen und Aufgaben gut umgehen. „Ich bin seit 31 Jahren Lehrerin und habe mich immer fortgebildet", sagt sie Und: „Ich gehöre zu den Alt-68ern, die sich Neukölln als Arbeitsfeld bewusst ausgesucht haben".

Der Erfolg gibt der Schulleiterin Ruth Weber und den Kollegen wie Verena Vollmer recht. Die Peter-Petersen-Schule gehört zu den wenigen Kiez-Schulen, die auch von deutschen Eltern bewusst ausgesucht werden: Es hat sich herumgesprochen, dass die Petersen-Absolventen an weiterführenden Schulen gut zurechtkommen, weil sie das selbstständige Arbeiten gelernt haben. Und es ist inzwischen erwiesen, dass hochbegabte Kinder dank der Altersmischung wesentlich leichter „springen“ können.

Aber das ist noch längst nicht alles, was die Petersen-Schule zu bieten hat: Da gibt es noch die „verlässliche Halbtagsbetreuung“, von der vor allem die Kinder aus schwierigen sozialen Verhältnissen profitieren. Außerdem engagiert man sich als Unesco-Projektschule. In diesem Rahmen nahmen die Schüler an Menschenrechtstagen teil, trafen sich mit kriegsversehrten Kindern oder setzten sich mit Umweltpolitik auseinander.

Eltern und Schüler: „Die Petersen-Schule war für uns ein Grund, in Nord-Neukölln zu bleiben“, sagt Gesamtelternvertreterin Ute Gebhardt-Ziemer. Sie schwärmt von Lehrern, die immer auf der Suche nach neuen Wegen sind – und zwar nicht um der Reform, sondern um der Kinder und des Lernerfolgs Willen. Eines der drei Kinder von Frau Gebhardt–Ziemer konnte dank der flexiblen Altersmischung in Neukölln sogar eine Klasse überspringen.

Und was meinen die Schüler? „Es ist schön, dass die Klasse so gemischt ist“, sagt die achtjährige Lara. Sie findet es toll, dass sie in ihrer vertrauten Gruppe bleiben und trotzdem in den Kursen schon die Matheaufgaben der Fünftklässler lösen kann.

Mehr über die Schule unter

www.pps.cidsnet.de

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