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Großdemo und S-Bahn-Sperrung: Unterwegs in der blockierten Stadt

Der Nord-Süd-Tunnel der S-Bahn ist gesperrt, eine Großdemonstration mit Traktoren führte quer durch die Stadt: Wer am Sonnabend in Berlin unterwegs war, konnte so einiges erleben.

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Fünf Zentimeter nach links, fünf Zentimeter nach rechts, stärker pendelte das Kinn nicht. Aber die Geste genügte ja. Sie fasste das ganze Problem zusammen. Der Polizist hatte den Kopf geschüttelt, das war das Problem. Er hockte in seinem Einsatzfahrzeug, die Haube stand quer zur Stresemannstraße, das Blaulicht kreiste. Zehn Meter entfernt starrte ein Mittvierziger zu dem Polizisten. Er hatte seinen Bus voll mit Leuten, die vom Anhalter Bahnhof aus den Schienenersatzverkehr nutzten, und jetzt ließ ihn der Polizist nicht zum Potsdamer Platz. Den blockierten die „Wir haben es satt“-Demonstranten, mehrere tausend Gegner von Massentierhaltung und Agrarkonzernen.

Schienenersatzverkehr und Demos

Nord-Süd-Tunnel gesperrt, S-Bahn-Verkehr lahm gelegt, U 7 unterbrochen, Straßen bis zum Kanzleramt blockiert. Am Abend dann - nach einem Suizid am Savignyplatz - eine etwa zweistündige Unterbrechung der S-Bahn zwischen Zoologischer Garten und Charlottenburg. So war am Sonnabend die Situation. Ein paar Sekunden nach dem unfreiwilligen Stop am Anhalter Bahnhof hatte der Busfahrer auch noch hinter sich ein Problem. Er war in die Niederkirchnerstraße abgebogen, und stand neben dem Finanzministerium in der Wilhelmstraße, als Fahrgäste aggressiv forderten: „Wir wollen hier raus, wir wollen keine Stadtrundfahrt.“ Der Busfahrer legte resigniert die Unterarme aufs Lenkrad und sagte fast tonlos: „Ich bin doch hier auch nur der Laufbursche.“ Dann ließ er zehn Meter weiter die Türen sich zischend öffnen.

Auf dem Potsdamer Platz begann zu diesem Zeitpunkt gerade die Einstimmung auf die Demonstration. Auf dem Podest stand der Hauptredner und begrüßte Imker (Beifall), Polizisten (Gemurmel) und Journalisten (Pfiffe), streifte bei einem verbalen 360-GradSchwenk alle politischen Brandherde dieses Planeten (Ukraine, Israel, Syrien, Paris, NSU-Prozess), bevor er sich Agrarkonzernen und den Problemen kleiner Bauernhöfe widmete. Dazwischen streute er nützliche Hinweise ein, man weiß ja nie, wer da so alles mitläuft. „Ich bitte die Kinder, ihre Eltern zu beobachten, weil die ja oft noch leichtsinnig die Straße überqueren wollen.“ Und wenn dann plötzlich so ein Riesentraktor anrollt, kann das böse enden für die Eltern.

Sie allen wollen gesunde Ernährung und faire Preise: Demonstranten der "Wir haben es satt"-Bewegung.
Sie allen wollen gesunde Ernährung und faire Preise: Demonstranten der "Wir haben es satt"-Bewegung.

© dpa

Demonstranten auch aus dem Allgäu

Die Traktoren waren in einer Art Sternfahrt angerollt. Sie kamen aus verschiedenen Richtungen und hatten als zentralen Sammelpunkt den Potsdamer Platz. Von dort aus bildeten sie die Abteilung High-Tech-Landmaschinen-Power der Demonstration. Vor dem Kanzleramt demonstrierten dann letztlich 25 000 Menschen. Jedenfalls hatte die Polizei so viele gezählt. Die Veranstalter, wen wundert’s, haben einige tausend mehr notiert.
In der Menge standen auch Christian Fleschutz und Franz Josef Wiedemann aus Kempten, sie vertraten den „Bio Ring Allgäu“. So stand es auf ihrem Transparent. Fleschutz, 55 Jahre alt, Nebenerwerbslandwirt, 40 Jahre bei der Telekom, möchte, „dass die Bauern eine Zukunft haben und nicht von der Industrie verdrängt werden“. Wiedemann, das Gesicht von einer Pudelmütze und einem dicken Schal umhüllt, früher mal Landwirt, „will den nachfolgenden Generationen eine lebenswerte Umwelt hinterlassen“.

Ein paar Meter weiter hatte Elke Hochreiter ihre Hände in kuschelige Handschuhe aus Coburger Fuchsschafwolle geschoben. Das passt, das Coburger Fuchsschaf ist eine bedrohte Haustierrasse, die 47-jährige Landwirtin aus dem Chiemgau setzt sich auch auf dem eigenen Hof für solche Tiere ein. Sie ist zum fünften Mal bei dieser Demonstration, mit ernüchterndem Fazit: „In den fünf Jahren ist es schlimmer geworden. Politiker kümmern sich nicht um uns.“ Dann das Startsignal, die Traktoren röhren, die Demo beginnt. Der Verkehr wird großräumig umgeleitet. Die Busse des Schienenersatzverkehrs sind voll.

Das größte Transparent wurde nicht getragen, es hing. Es hing genau gesagt vom Dach des Südeingangs der Messe Berlin, ist 100 Quadratmeter groß und verkündete: „Fleisch ist immer Mord - Schluss mit der Ausbeutung von Mensch, Tier und Umwelt“. Mitglieder des Bündnisses „Grüne Messe demaskieren“ hatten es angebracht, heimlich natürlich.

Auch Kioskbesitzer leiden

Auch Kioskbesitzer sind von der Tunnelsperrung betroffen. Der Laden im Anhalter Bahnhof hat Zigarettenbestände, Schokoriegel und Feuerzeuge weggepackt und macht für drei Monate dicht. Am Tag vor der Sperrung war noch einmal großer Resteverkauf. Danach gilt: Ohne S-Bahn keine Kunden. Die Angestellten werden in der Zeit in einem anderen Kiosk in der Stadt eingesetzt. Gibt es eine Entschädigung, weil die Kunden wegen der Bauarbeiten wegbleiben? Keine Antwort. Nicht überall müssen Kioske und Bäckereibuden gleich schließen, am Potsdamer Platz haben Victoria Koch aus Hohenschönhausen und ihre Kollegen die Öffnungszeiten nur reduziert. In den nächsten drei Monaten ist der Laden nur noch von 7 bis 19 Uhr geöffnet. Aber: „Wir rechnen mit schweren Einbußen. Entschädigung erhalten wir keine“, sagt Koch.

Warteschlange an der Haltestelle

An der Yorckstraße ist die Station der Linie S 1 wie ausgestorben. Nur wenn ein Zug aus Wannsee einfährt, füllt sich der Bahnhof, die Menschen werden mit übersichtlichen Schildern zur Straße geleitet. Hier müssen sie allerdings noch rund 100 Meter in Richtung S 2 / S 25 laufen, zur Haltstelle des Schienenersatzverkehrs. Die liegt zwischen den beiden Linien, das erleichtert Fahrgästen aus der U 7 das Umsteigen. BVG-Mitarbeiter mit Mützen und Warnwesten informieren am Ausgang und leiten Fahrgäste zur Haltestelle. Oben am Bahnsteig sagt am Samstagnachmittag ein Aufsichtsbeamter: „Keine Probleme hier. Läuft ab wie ein Länderspiel.“ Wie ein Länderspiel, stimmt. Allerdings wie jenes in Berlin gegen Schweden, als die Deutschen innerhalb von 20 Minuten noch vier Tore kassierten. An der Haltestelle des Ersatzverkehrs stauen sich rund 50 Menschen, und es werden immer mehr. Zwischendrin, wie ein Farbklecks, ein schmächtiger S-Bahn-Mitarbeiter mit orangefarbener Weste. „Eigentlich sollte alle fünf Minuten ein Bus kommen“, sagt er immer wieder. Die Menge wartet aber schon seit 15 Minuten. „Wegen der Demonstration werden alle Busse über die Kochstraße umgeleitet“, fügt er hinzu, er kann ja auch nichts dafür. Außerdem ist er genauso ratlos wie alle, die ihn umringen. „Ich kann ihnen nicht sagen, wann der nächste Bus kommt.“ Wenigstens gibt er Tipps für alternative Routen. Am frühen Nachmittag wird der Schienenersatzverkehr zwischen Yorckstraße und Friedrichstraße vorübergehend eingestellt, wegen der Demo. Nichts geht mehr. Immerhin: Die Polizei meldet keine überfahrenen Eltern. Die Kinder haben gut aufgepasst.

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