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Berlin: Großstadtrevier

Wildschweine, Füchse und Hirsche durchsuchen Mülleimer und Komposthaufen – die Behörden fühlen sich zumeist nicht zuständig

Von Vivien Leue

Es gab ein böses Erwachen, als Familie Schneider kürzlich aus dem Küchenfenster in den gut gepflegten Garten blickte: „Der ganze Rasen war durchwühlt, überall lagen Erdhaufen. Und unser Steingarten - ein einziges Schlachtfeld. Der hat gerade so schön geblüht.“ Almut Schneider kann es immer noch kaum fassen. Wildschweine haben sich in ihrem Garten vergnügt und kaum ein Pflänzchen im Erdboden gelassen. „Die haben sogar die Pflanzenzwiebeln ausgegraben, das ist schon ärgerlich.“ Familie Schneider wohnt in einem von Wildschweinen bevorzugten Gebiet: Der Stadtteil Eichkamp, direkt am Grunewald gelegen, wird häufig von Wildschweinrudeln aufgesucht. Während der Wald zur Zeit sehr trocken ist und kaum schmackhafte Nahrung bietet, finden die Tiere in den Gärten der Berliner einen reich gedeckten Tisch vor: Gut gewässerte Wiesen, meist eine reichhaltig bestückte Mülltonne oder – besser noch – einen Komposthaufen.

Die Großstadt Berlin zieht wilde Tiere an wie ein Biotop: 161 Quadratkilometer innerstädtischer Waldfläche, ein ausgedehntes Wassernetz, großflächige Parks in fast jedem Stadtbezirk und dazu noch etliche Naturrefugien in Form von Friedhöfen und stillgelegten, verwilderten Gleisanlagen.

„Trotzdem haben solche wilden Tiere im Stadtgebiet nichts zu suchen“, erregt sich Elgen Schelenz, die ebenfalls im Siedlungsgebiet Eichkamp wohnt. Auch ihr Garten ist schon in Mitleidenschaft gezogen worden. „Da muss man doch was machen können“, sagt Schelenz, „aber keine Stelle möchte dafür zuständig sein.“ Die Stiftung Naturschutz Berlin empfiehlt, die Naturschutzbehörde des jeweiligen Bezirks – das Natur- und Grünflächenamt – zu informieren. Großstädtische Wildtiere sind im Sinne des Gesetzgebers „herrenlose Tiere“, die entweder dem Jagdrecht (bei jagdbaren Arten wie zum Beispiel Fuchs und Wildschwein) oder dem Naturschutzrecht unterliegen.

Tatsächlich erntet man auf die Frage nach der Zuständigkeit bei Berliner Behörden ein Kopfschütteln. „Wir haben damit nichts zu tun“, heißt es sowohl beim Bezirksamt als auch bei der Polizei und den Forstämtern. Zwar beschäftigen letztere ausgebildete Jäger, doch ihr Einsatzgebiet hört an den Waldgrenzen auf. „Die Stadt ist befriedetets Gebiet, da dürfen wir nicht schießen“, sagt Elmar Kilz, Revierförster im Stadtteil Grunewald. Zwar ist der Schutz des Tieres als Mitgeschöpf nicht im Grundgesetz verankert, doch das Land Berlin hat den Tierschutzgedanken in die Landesverfassung aufgenommen. „Tiere sind als Lebewesen zu achten und vor vermeidbaren Leiden zu schützen“, heißt es im Artikel 31, Absatz 2. Vor diesem Hintergrund erklärt auch die Polizei, sie könne nur in gravierenden Fällen einschreiten. „Da muss schon Gefahr in Verzug sein“, heißt es von der Dienststelle 23, die in der vergangenen Woche alarmiert wurde, weil ein Hirsch auf der Ruhlebener Straße unterwegs war. „Das haben wir oft“, heißt es in der Dienststelle 23. „Den müssen wir dann wieder zurück ins Gehege der Wasserwerke treiben, denn das ist schon gefährlich, wenn so ein großes Tier verängstigt mitten auf der Verkehrsstraße steht.“ Ein durchwühlter Vorgarten birgt dagegen noch keine Gefahr.

„Aber es sind doch auch die öffentlichen Grünflächen, die in Mitleidenschaft gezogen werden“, beklagt Elgen Schelenz, „und dort tollen die Kinder herum. Ist das keine Gefahr?" Auch der Bezirk hält sich zurück. Beim Veterinäramt Charlottenburg-Wilmersdorf werden nur gute Ratschläge verteilt. „Aber für die Vertreibung von Wildtieren sind wir nicht zuständig“, sagt Veterinärärztin Siglinde Laarmann. „Um sich wirklich zu schützen, sollte man sein Grundstück gut einzäunen“, rät Förster Kilz. Wirkliche Abhilfe kann keiner schaffen.

Amtsarzt Heinz-Jürgen Henning weiß, dass auch Füchse lästig werden können: „Bei einer Familie in meinem Einsatzgebiet hat sich eine ganze Fuchsfamilie eingenistet.“ Da aber diese keine „Gefahr in Verzug“ darstellen, fühlt sich auch in diesem Fall kein Amt verantwortlich, Betroffenen zu helfen. Da bleibt nur noch die Eigeninitiative.

Die Vertreibung von Wildschweinen gestaltet sich schwieriger. Sie haben – wie Füchse – als „Kulturfolger“ inzwischen am Stadtrand die Scheu vor Menschen verloren. Das musste auch der Stadtteil Zehlendorf vor einigen Jahren erfahren. Als die Zahl der Wildschweine in öffentlichen Parkanlagen überhand nahm, entschloss man sich, einen Stadtjäger zu engagieren. Gut eine Handvoll dieser speziell ausgebildeten Jäger gibt es in Berlin. Achim Klausen ist einer von ihnen. Er legte sich auf seinem mobilen Hochsitz auf die Lauer und schoss die Wildrudel in der Nacht ab. Mit einer polizeilichen Erlaubnis, die Klausen nach gründlicher Darlegung des jeweiligen Falles meist erhält, darf er auch innerhalb des Stadtgebietes schießen. Anders kann man die Tiere meist nicht vertreiben. Für Klausen ist die Frage der Zuständigkeit klar: „Wenn sich die Tiere in Grünanlagen oder Wohngebieten aufhalten, müssen die Polizei oder das Bezirksamt einschreiten.“

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