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Feiernde bei einem Popfestival.

© Gregor Fischer/dpa

Grünanlagen als Kulturflächen: Werden Raves in Berliner Parks bald legal?

Illegale Park-Partys sorgen für Aufregung bei Politik und Polizei. Doch die Szene fordert eine Legalisierung – und verweist auf den Koalitionsvertrag.

Bässe wummern, bunte Scheinwerfer flackern, ein DJ steht unter einem Pavillon an einer Anlage, Leute tanzen eng an eng. Kein Abstand, keine Masken. Einfach nur Party – mitten in der Pandemie.

Es sind Bilder, die der RBB am Wochenende veröffentlichte, die rund 500 Menschen trotz Regens in der Hasenheide beim Feiern zeigen. Seit März gehe das so, heißt es in dem Beitrag, der für großes Aufsehen sorgte.

„Es war sehr entspannt. Die Leute dürsteten nach Bass und haben eng um die kleine Anlage getanzt“, sagt Ben, der den Rave eine Woche vorher besucht hat und eigentlich anders heißt. Er habe schon seit Wochen von den Veranstaltungen in der Hasenheide gehört, die anfangs aus einer schwulen Szene heraus entstanden seien.

Nach und nach sei der Rave gewachsen, viel Berghain-Klientel und auch Jüngere kamen, vor zwei Wochen seien es zwischen 600 und 700 Feiernde gewesen. „Auch die Polizei war da, hat sich aber deeskalierend verhalten“, sagt Ben.

Auch bei der viel kritisierten Bootsdemo am Landwehrkanal vor einigen Wochen hat er teilgenommen. Die Empörung darüber kann er nicht nachvollziehen. „Ich finde es überzogen, wenn man das als verantwortungslos bezeichnet.“ Abstände seien zwar nicht konsequent eingehalten worden, doch die Teilnehmer würden sich großteils sowieso kennen und die Infektionszahlen seien infolge der Veranstaltungen nicht gestiegen.

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„In Bahn und Büros ist es viel gefährlicher“, sagt Ben. Er fordert mehr Augenmaß, die Isolierung von Menschen habe psychische Folgen, die teils gravierender sein könnten als eine Infektion.

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In der Politik sehen das viele anders. „Egoismus pur“, schimpfte der Bezirksbürgermeister von Neukölln, Martin Hikel (SPD) auf Facebook.

Der Regierende Michael Müller (SPD) sagte in einer TV-Ansprache am Montagabend: „Es ist nach wie vor nicht die Zeit für sorgloses Feiern in großen Gruppen.“

Polizei hat strengere Kontrollen angekündigt

Noch deutlicher wurde Innensenator Andreas Geisel (SPD) am Dienstag: „Das ist ein höchst unsoziales Verhalten“, sagte er dem Radiosender RBB 88,8 und kritisierte Übergriffe von Feiernden gegen die Polizei.

Bei den aggressiven Partymachern handele es sich vor allem um „testosterongesteuerte junge Männer, die sich versammeln und glauben, Regeln gelten nicht für sie und sie müssten keine Rücksicht auf andere Menschen nehmen“, sagte Geisel. Die Polizei hat strengere Kontrollen angekündigt.

Die Bootsdemo auf dem Landwehrkanal hat für viel Kritik gesorgt.
Die Bootsdemo auf dem Landwehrkanal hat für viel Kritik gesorgt.

© Vincent Bruckmann/dpa

Doch es gibt auch andere Stimmen: „Es ist absolut irrational zu glauben, dass sich durch Appelle alter Politiker junge Menschen zu Hause einschließen“, sagt Georg Kössler, clubpolitischer Sprecher der Grünen. In den Ferien und bei den sommerlichen Temperaturen sei mit weiteren Partys zu rechnen. Statt die Feierszene zu verdrängen, will er sie aus der Illegalität bringen. Er fordert Open-Air-Partys unter Auflagen, wie Lärm-, Müll- und Infektionsschutz. „Wir sollten gesetzlich erlauben, dass Grünanlagen auch zu Kulturflächen werden könnten“, sagte Kössler.

Mit dieser Idee beschäftigt sich die Berliner Politik nicht erst seit der Corona-Pandemie. Im rot-rot-grünen Koalitionsvertrag von 2016 heißt es auf Seite 123: „Die Koalition strebt die Entwicklung von Orten im öffentlichen Raum an, die unbürokratisch für nicht kommerzielle Musik und Partyveranstaltungen unter freiem Himmel genutzt werden können.“

In ein Gesetz gegossen hat die Koalition diese Passage bislang jedoch nicht, durch Corona wird die Idee aber wieder diskutiert.

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Vor zwei Wochen kündigten zudem die linken Bezirksbürgermeister von Pankow, Marzahn-Hellersdorf und Lichtenberg an, Frei- und Grünflächen, Straßen, Plätze und auch Sportplätze für Kulturveranstaltungen zu öffnen. Unterstützt wurden sie dabei von Kultursenator Klaus Lederer (Linke).

„Das Interesse daran ist bislang überschaubar“, sagt Michael Grunst, linker Bezirksbürgermeister in Lichtenberg. Zieht das Partyvolk also bald in die Falkenberger Rieselfelder, die Malchower Aue oder den Stadtpark Lichtenberg? „Für Raves war das eher nicht gedacht“, sagt Grunst. Vielmehr ginge es um Künstler, die keine Bühne mehr hätten. Das Theater an der Parkaue nutze das Angebot beispielsweise bereits.

Bootsdemo hat bei Behörden Vertrauen zerstört

Und Partys? „In den Grünflächenämtern gibt es Vorbehalte gegenüber Raves“, sagt Grunst. Illegale Veranstaltungen und die Bootsdemo hätten die Szene stigmatisiert. „Wir bräuchten gute Beispiele“, sagt der Bezirksbürgermeister. Für Gespräche mit der Clubcommision stehe er aber, wie schon in der Vergangenheit, bereit.

Dort beschäftigt sich Ilya Minaev bereits seit Jahren mit dem Thema freier Open-Air-Veranstaltungen. Im vergangenen Jahr hat die Clubcommission dazu ein Pilotprojekt auf einer Industriebrache im Spandauer Ortsteil Haselhorst gestartet. An 40 Abenden und Nächten sei dort 2019 legal gefeiert worden – ohne Beschwerden, ohne Probleme. In diesem Jahr habe man das Projekt auf den Spreepark in Treptow ausweiten wollen, die Behörden hatten bereits grünes Licht erteilt, doch dann kam Corona.

Partylocation? im Spreepark könnten nicht kommerzielle Konzerte stattfinden.
Partylocation? im Spreepark könnten nicht kommerzielle Konzerte stattfinden.

© Kitty Kleist-Heinrich

Nun hofft Minaev, dass der Feierszene bald neue Flächen zur Verfügung gestellt werden. „Wir wollen die Leute in die Legalität bewegen“, sagt er.

Auch er plädiert dafür, Veranstaltungen mit DJs, verstärkter, elektronischer Musik und gegebenenfalls auch Lichtshows unter freiem Himmel stattfinden zu lassen. Bislang habe es nur in Pankow Gespräche gegeben, dort kommen Grünflächen wegen ihres desolaten Zustands jedoch nicht in Frage. Stattdessen seien Plätze oder Brachen denkbar.

Intern hat man für legale Raves bereits Listen erstellt, die die soziale und ökologische Nachhaltigkeit garantieren sollen. Diese wurden nun um Empfehlungen zum Infektionsschutz erweitert.

Die Veranstalter sollen die Kontaktdaten aufnehmen, an Getränkeständen sollen Plexiglasscheiben angebracht, auf Abstand soll geachtet werden. „Wir wollen ein Zeichen setzen, das diese Kultur auch verantwortungsvoll sein kann“, sagt Minaev. „Aber dafür brauchen wir auch einen rechtlichen Raum.“

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