zum Hauptinhalt
Aktionstheater: Ein Bild, das zum Gedächtnis der Republik gehört.

© SZ Photo/Thomas Hesterberg

Gründung der "Kommune 1" vor 50 Jahren: Die nackte Provokation

Die "Kommune 1" bestand weniger als drei Jahre - und doch half sie, eine ganze Generation zu politisieren. Vor einem halben Jahrhundert wurde sie in Berlin-Friedenau gegründet.

Sieben nackte Frauen und Männer, die der Kamera den Hintern zeigen – das Foto hat das Image der „Kommune 1“ geprägt. Dokument einer bewegten Generation, ein Fanal der Veränderung in einer Bundesrepublik, die noch zwischen verdrängter Nazi-Geschichte und dröger Adenauer-Spießigkeit hing. Vor 50 Jahren, am 12. Januar 1967, wurde die Kommune gegründet – in einer Dachwohnung in der Niedstraße in Friedenau richteten die Kommunarden Dieter Kunzelmann, Rainer Langhans, Ulrich Enzensberger, Fritz Teufel sowie Dagmar Seehuber und Dorothea Ridder ihr Matratzenlager ein.

Ein erster Tabubruch: Die Wohnung gehört dem ahnungslosen Schriftsteller Uwe Johnson, der in den USA ist. Die Wohngemeinschaft verordnete sich erst einmal ein Psychomarathon, um mit schonungslosen Beichten auf dem Weg zum revolutionären Subjekt voranzukommen.

Weniger als drei Jahre existierte die Kommune 1, doch ihre gesellschaftliche Wirkung war ungeheuer. Die „Kommune 1“ war der Turbogenerator für eine Politisierung einer Generation. Anarchistisches Politiktheater und Provokation, Gewaltverherrlichung und sexuelle Befreiung – in einer Zeit, als Studenten noch mehrheitlich mit Krawatte und Anzug zur Vorlesung gingen, Papa am Sonntag an der Straßenpumpe den eisern ersparten „Käfer“ wienerte und die „Frontstadt“ West-Berlin in ständiger Sorge vor den „Sowjets“ lebte.

Den Staat und seine Autoritäten lächerlich machen, die Waffe der "K 1"

Die „Kommune 1“, in der das Privateigentum abgeschafft war und die Klotüren ausgehängt, damit sich keine kleinbürgerliche Zurückgezogenheit entwickeln konnte, war ständige Provokation in einer total prüden Gesellschaft. Schon das Zusammenleben Unverheirateter galt damals als Kuppelei und brachte der Kommune deswegen eine Anklage ein.

Den Staat und seine Autoritäten lächerlich machen, das war die Waffe der „Kommune 1“. Sie lebte aus der Reibung mit dem „Staatsapparat“. Und der charismatische Rainer Langhans, der mit Ringellocken und Nickelbrille die Popstar-Rolle kultivierte, der manipulatorisch begabte Dieter Kunzelmann und der hingebungsvolle Clown Fritz Teufel waren Meister darin, die Behörden zu provozieren. Keine Idee schräg genug, sie nicht umzusetzen – und jedes Foto ihrer Aktionen mehrte ihren Ruhm als Ikonen der antiautoritären Bewegung. Dieter Kunzelmann, der während einer Gedenkveranstaltung aus einem Sarg heraus Flugblätter in die Menge wirft.

Teufel, der mit Eisenkugel am Fuß und Büßerhemd aus seinem Haftantritt ein Happening macht. Kothaufen vor dem Richtertisch. Demos gegen den Schah, mit Papiertüten auf dem Kopf, auf denen das Foto des iranischen Herrschers prangt. Fritz Teufel, der bei der Haftentlassung einen Adventskranz trägt. Das Happening an der Gedächtniskirche, wo sie vom Dach Mao-Bibeln in die Menge werfen. Dazu die hedonistischen Bekenntnisse, etwa als Dieter Kunzelmann auch für die Studentenbewegung provozierend erklärte, „was kümmert mich der Vietnam-Krieg, wenn ich Orgasmusprobleme habe.“

Die "K1" im Rathaus Schöneberg. Nach dem Tod von Benno Ohnesorg am 2. Juni 1967 war Dagmar von Doetinchem vor den Untersuchungsausschuss des Abgeordnetenhauses geladen. Das Foto zeigt sie nach der Aussage mit den Kommunarden (v. l.) Volker Gebbert, Rainer Langhans, Ulrich Enzensberger, Dieter Kunzelmann. Teufel war in Haft.
Die "K1" im Rathaus Schöneberg. Nach dem Tod von Benno Ohnesorg am 2. Juni 1967 war Dagmar von Doetinchem vor den Untersuchungsausschuss des Abgeordnetenhauses geladen. Das Foto zeigt sie nach der Aussage mit den Kommunarden (v. l.) Volker Gebbert, Rainer Langhans, Ulrich Enzensberger, Dieter Kunzelmann. Teufel war in Haft.

© Ullstein

Größter Coup: Das angebliche Attentat auf US-Vizepräsident Hubert Humphrey

Die „K 1“ war bestes Aktionstheater, die ihre Fallen auslegte für die absehbare Reaktion der Staatsgewalt. Der größte Coup war das angebliche Attentat auf den US-Vizepräsidenten Hubert Humphrey im April 1967. Die Behörden reagieren mit Festnahmen und die Presse in West-Berlin mit einer heute unvorstellbaren Hysterie – bis sich herausstellt, dass die Bomben mit Puddingpulver gefüllte Tüten waren: Die Polizei blamiert, die Kommune weltweit in den Zeitungen.

Zur Wahrheit der linken Geschichte gehört freilich, dass das kokettierende Spiel mit der Gewalt der Vorbote war für den Weg in den Terror. Unvorstellbar pietätlos wirkt heute das Flugblatt, mit dem die Kommune nach dem Brand in einem Brüsseler Kaufhaus mit mehr als 300 Toten reagierte. „Wann brennen die Berliner Kaufhäuser?“, texteten die Kommunarden und sprachen von „neuen Demonstrationsformen“. Beim Prozess wegen Aufforderung zur Brandstiftung argumentierten sie mit dem „Recht auf Provokation“ und „Kunstfreiheit“. Am Ende, als die Richter ausgiebig vorgeführt waren, stand ein Freispruch. Es sollte kein Jahr dauern, bis die RAF-Gründer Baader und Ensslin tatsächlich einen Brand in einem Frankfurter Kaufhaus legten.

Zur Kehrseite gehört auch der Antisemitismus Kunzelmanns

Das vieles an dem Bild nicht stimmte, welches die Kommunarden hingebungsvoll von sich stilisierten, blieb verborgen. Mit dem Sex war es zumindest am Anfang nicht weit her, erinnert sich Dagmar von Doetinchem. Sie war damals die jüngste Kommunardin, 19 Jahre alt, und erst Anfang 1967 nach dem Abitur nach Berlin gekommen. „Freie Liebe – das war doch nur Propaganda“, erzählt die heute 69-Jährige: „Das hat alles nicht stattgefunden.“ Tatsächlich sei es eher monogam zugegangen, neben ihrer eigenen Beziehung mit Ulrich Enzensberger – dem Bruder des Dichters Hans-Magnus – habe es im zweiten Domizil der „K1“ am Stuttgarter Platz noch ein zweites Pärchen gegeben, die jeweils in einem Zimmer schliefen.

Nur Langhans, Kunzelmann und Teufel schliefen zusammen in einem Raum. Auch Drogen spielten in dieser Phase keine Rolle, stattdessen sei unentwegt Jasmintee getrunken worden. Das mit dem Sex änderte sich erst, als Fritz Teufel als It-Boy der Protestszene so viele Frauen anschleppte, bis er vom genervten Kunzelmann aus der „K1“ geworfen wurde.

Zur Kehrseite gehört auch der Antisemitismus Kunzelmanns, der sich im Sechs-Tage-Krieg die Vernichtung Israels wünschte und damit eine Mitbewohnerin aus jüdischer Familie erst zum Weinen und dann zum Auszug brachte. Es passt dazu, dass Kunzelmann später als Mitglied der Terrorgruppe „Tupamaros“ an einem Anschlagsversuch auf das jüdische Gemeindehaus beteiligt gewesen sein soll, wie 2005 ein Buch enthüllte.

"Es ging darum, wer häufiger in der Zeitung war"

Beim berühmten Nacktfoto, das im Sommer 1967 entstand, sollte auch von Doetinchem dabei sein. Sie weigerte sich empört, sagt sie. Für ein bezahltes Foto wollte sie sich nicht ausziehen, auch wenn ansonsten die Kommunarden davon lebten, dass sie sich jedes Foto oder Interview bezahlen ließen. Auch Teufel ist nicht auf dem Foto – er war wegen eines angeblichen Steinwurfes in Haft.

„Das Private ist politisch“ war die stete Kampfparole der Kommune. „Blah, Blah, das galt nur für die Männer“, erinnert sich von Doetinchem, die später als Lehrerin Berufsverbot erhielt, dann Hebamme wurde und in Berlin die ambulante Geburt im Krankenhaus etablierte. Das Leben in der Kommune war chaotisch, die zwei kleinen Kinder blieben weitgehend sich selbst überlassen und schliefen im sogenannten „Müllzimmer“. Nur die Frauen kümmerten sich um die Küche und wuschen Wäsche. „Frauen wurden nicht ernst genommen“, sagt Dagmar von Doetinchem über eine Zeit, als die Frauenbewegung noch nicht den Kampf gegen die „Eminenzen“ ausgerufen hatte.

Nur das Büro, wo Kunzelmann und Langhans einen Schreibtisch hatten, war immer sauber. Dagmar von Doetinchem, die seit vielen Jahren in einem ehemals besetzten Haus in Kreuzberg lebt, erinnert sich an die ausgeprägte Konkurrenz zwischen Langhans und Kunzelmann. Penibel archivierten die beiden jeden Tag die Zeitungsberichte über ihre Aktionen. „Es ging darum, wer häufiger in der Zeitung war“, sagt von Doetinchem.

Der Tod Benno Ohnesorgs am 2. Juni 1967 war ein Wendepunkt

Die Zeit der Leichtigkeit der antiautoritären Bewegung war vorbei, als am 2. Juni 1967 bei den Protesten gegen den Schah-Besuch der Student Benno Ohnesorg von einem Polizisten erschossen wurde. Ein Wendepunkt, an dem sich viele Protestler radikalisierten, während die „Kommune 1“ weiterhin ihr dadaistisches Spaßkonzept verfolgte und ihre Bewohner sich als linke Popstars sahen. In der zweiten Phase der „Kommune 1“, als in einer Fabriketage im Wedding das völlig unpolitische Modell Uschi Obermaier als Geliebte von Langhans einzog, ging es hauptsächlich um Sex und Drogen.

Prominenz wie der Musiker Jimi Hendrix schauen vorbei und Illustrierte zahlen enorme Honorare für Nacktfotos von Obermaier. Der sich als „Patriarch“ aufspielende Kunzelmann versackt dagegen im Heroin und wird rausgeschmissen. Das Ende kommt, als im November 1969 Rocker die Wohnung in der Stephanstraße überfallen. Die Zeit und die Bewegung sind über die „K1“ hinweggegangen.

Die Räume übernimmt das „Sozialistische Zentrum“. Ex-Kommunarden ziehen für kommunistische Splittergruppen in den Betriebskampf oder in den Untergrund – der 2010 gestorbene Teufel wird Mitglied der Terrorgruppe „2. Juni“, Kunzelmann Kopf der „Tupamaros“. Und Langhans tingelt bis heute durch die Medien bis ins „Dschungelcamp“.

Zur Startseite