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Der seit langem im Bau befindliche und von jahrelangen Baustopps zurückgeworfene Atomreaktor Angra III, in dem deutsche Technik zum Einsatz kommen soll.

© Philipp Lichterbeck

Grüne fordern Ende: Das deutsche Atom-Abkommen, von dem kaum einer weiß

Seit 1975 unterstützt Deutschland Brasilien im Atom-Bereich. Die Grünen fordern von Kanzlerin Merkel, die kaum bekannte Kooperation einzustellen.

Es wirkt wie ein Museum. Telefone, Knöpfe und Armaturen erinnern an die 80er Jahre. In der Turbinenhalle hängt eine riesige Nationalflagge: "Saubere Energie für den Fortschritt", lautet die Losung. Das Atomkraftwerk Angra II an der brasilianischen Atlantikküste wirkt wie aus der Zeit gefallen.

In der Anlage laufen Turbinen der ehemaligen Kraftwerk-Union aus Deutschland. Einige hundert Meter weiter gibt es eine riesige Baustelle, immer wieder gestoppt von Korruptionsaffären, niemand weiß ob das 1985 gestartete Projekt, der Reaktor Angra III, jemals fertig und betrieben werden wird. Es wird mit der Technik und Ausstattung des in Deutschland bereits abgeschalteten Atomkraftwerks Grafenrheinfeld gebaut.

In einer Traumbucht gelegen, mitten in den Tropen, gibt es den Atom-Komplex nur wegen einer Atom-Partnerschaft aus der Zeit des Bundeskanzlers Helmut Schmidt (SPD). Am 27. Juni 1975 schlossen die brasilianische Militärdiktatur und die Bundesregierung des damaligen Kanzlers Schmidt ein Abkommen über die Zusammenarbeit auf dem Gebiet der „friedlichen Nutzung der Kernenergie“ – es ist bis heute in Kraft.

Für den Bau des Atomkraftwerks Angra III liegt an der Costa Verde, 190 Kilometer südwestlich von Rio de Janeiro, eingelagert die Technik aus Alemanha. Schon vor Jahren mahnten Sicherheitsexperten, der Sicherheitsbehälter solle nur halb so dick sein wie der beim aus Sicherheitsgründen stillgelegten Referenzreaktor im bayerischen Grafenrheinfeld - ein Risiko bei Wasserstoffexplosionen oder Flugzeugabstürzen.

Brasilien setzt vor allem auf Wasserkraft

Die bisherige Kooperation beinhaltet auch Sicherheitstrainings des Personals in Deutschland, sowie Workshops „zur Nutzung fortgeschrittener Analysehilfsmittel zwischen der deutschen Gesellschaft für Anlagen- und Reaktorsicherheit (GRS) und der brasilianischen Genehmigungs- und Aufsichtsbehörde Comissão Nacional de Energie Nuclear (CNEN)“.

Die Bundesregierung vertritt den Standpunkt, dass das Atomabkommen die Möglichkeit biete, einen Beitrag zur Verbesserung der Sicherheit von kerntechnischen Anlagen in Brasilien zu leisten. Aber aus den von deutschen Konzernen erhofften Milliardengeschäften wurde ohnehin nicht viel - Brasilien setzt heute vor allem auf Wasserkraft. Und die Grünen sehen in der neuen Regierung des rechten Präsidenten Jair Bolsonaro ein zusätzliches Risiko - der sich auch neue AKW vorstellen kann.

Brasiliens Präsident Jair Bolsonaro
Brasiliens Präsident Jair Bolsonaro

© REUTERS

Die Bundestagsfraktion der Grünen fordert daher, angeführt von den Abgeordneten Sylvia Kotting-Uhl und Jürgen Trittin, in einem Antrag von Kanzlerin Angela Merkel (CDU), die turnusgemäß zum 17. November dieses Jahres mögliche Kündigung des Atomvertrages zu vollziehen, um "somit eine automatische Verlängerung um fünf Jahre auszuschließen".

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Am Mittwoch wird der Antrag im Umweltausschuss des Bundestags debattiert, am Donnerstag im Plenum abgestimmt. Begründet wird der Antrag von den Grünen mit Sicherheitsbedenken und einem Widerspruch zur Atomausstiegspolitik. Der Angra-Komplex liege in einer erdrutschgefährdeten Bucht an der Atlantikküste zwischen Rio de Janeiro und São Paulo.

Brennstäbe nach Brasilien

„Es gibt auch nur einen unzureichenden Schutz vor Flugzeugabstürzen sowie einen grundlegend ungenügenden Katastrophenschutz, da der einzige Fluchtweg, die Küstenstraße BR 101, in der Regenzeit immer wieder durch massive Erdrutsche beeinträchtigt wird.“ Kotting-Uhl betont zudem, Bolsonaro stehe für eine Politik der Menschenrechtsverletzung und systematischen Umweltzerstörung.

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"Das rein wirtschaftsorientierte Pro-Atom-Abkommen mit Brasilien verschärft die Lage." Zudem weigere sich die brasilianische Regierung, ein Zusatzprotokoll der Internationalen Atomenergiebehörde zu unterschreiben "und damit seine atomaren Anlagen der Kontrolle zu entziehen." Wenn die Bundesregierung es mit ihrer neuen Initiative zur Stärkung lateinamerikanischer Demokratien ernst meine, "muss sie das überkommene Atom-Abkommen jetzt kündigen".

Die Grünen-Atomexpertin piesackt die Bundesregierung seit Jahren mit dem Thema. 2018 antwortete die Bundesregierung auf eine Anfrage von ihr, dass seit 2011 trotz des deutschen Atomausstiegs-Beschlusses 173,7 Tonnen angereichertes Uranhexafluorid und Brennstäbe mit 10 Tonnen Uran nach Brasilien geliefert worden sind, vor allem für Reaktor II im Kernkraftwerkskomplex Angra - Reaktor I ist ein kleiner Uralt-Reaktor mit Technik aus den USA, vom Westinghouse-Konzern. 

Nach Fukushima und dem deutschen Ausstiegsbeschluss erklärte der damalige Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) 2014, es gebe zumindest keine finanzielle Unterstützung mehr für Atomkraftwerke im Ausland. Dies gelte für Neubauten und für Bestandsanlagen. Davon unberührt ist bis heute die Unterstützung Brasiliens beim Angra-Projekt.

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