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Die kleinen Gelben. Die Fahrkartenautomaten der BVG bleiben stehen.

© ddp

Grüne fordern kostenlosen Nahverkehr: Auch umsonst kostet

Der Grünen-Landesparteitag beschließt überraschend den Nulltarif für Bus und Bahn in Berlin. Doch die Umsetzung wäre recht problematisch: Wenn Einnahmen aus Fahrtkartenverkäufen wegfallen, müsste das nämlich kompensiert werden - mit Steuergeldern.

Ein bisschen was Schönes wollten sich die Grünen auf ihrem Landesparteitag doch noch gönnen. Nach Reden über das Dasein in der Opposition und die Tristesse der Asylpolitik sowie einer selbstkritischen Betrachtung des Pädophilie-Themas hat eine knappe Mehrheit der Delegierten am späten Samstagabend überraschend beschlossen, dass man in Berlin umsonst Bus und Bahn fahren können soll. Beantragt hatte die Grüne Jugend den Umsonst-Beschluss, in dem aber die Formulierung „langfristiges Ideal“ enthalten ist. Nur wegen dieser Formulierung habe der Antrag die Mehrheit von 64 zu 61 Stimmen bekommen, meint Grünen-Landeschef Daniel Wesener. Schließlich wisse man um die prekäre Finanzlage der BVG.

Tatsächlich gehören die Verkehrsbetriebe zu den hoch verschuldeten öffentlichen Unternehmen. So weist der Geschäftsbericht für 2012 „Verbindlichkeiten“ gegenüber Banken von 816 Millionen Euro aus. Dem stand ein Umsatzerlös von 700 Millionen gegenüber. Hinzuzurechnen wären rund 340 Millionen Euro Einnahmen der S-Bahn aus Ticketverkäufen. Wenn die Einnahmen aus Fahrkartenverkäufen wegfielen, so Grünen-Chef Wesener, müsste man das „kompensieren“. Das müsse dann mit Steuergeldern bestritten werden. Gleiches gelte auf lange Sicht für die BVG-Schulden bei den Banken. Darüber sei im Antrag der Grünen Jugend nichts gesagt, bemängelte er.

"Unsere Leistung ist Geld wert"

Auch BVG-Sprecherin Petra Reetz kritisierte, dass hinter der Nulltarif-Forderung „kein Konzept steht“, über das man diskutieren könne. Reetz betonte: „Unsere Leistung ist Geld wert.“ Es sei zu befürchten, dass die Fahrgäste noch nachlässiger mit Bussen und Bahnen umgingen. Nach dem Motto: Kostet nichts – ist nichts wert. Zudem dürfte ihre Zahl bei völliger Freigabe deutlich steigen, was mehr Fahrzeuge und mehr Personal bedeuten würde. Die Kosten für den Nahverkehr würden dadurch letztlich deutlich steigen.

Der Leitantrag mit dem Titel „Grüne Mobilität für mehr Bewegungsfreiheit“ enthält ansonsten keine irrealen Forderungen. Die Grünen wollen, dass Umweltkarten-Besitzer umsonst ein Fahrrad mitnehmen dürfen und dass mehr Geld für Fahrrad-Infrastruktur ausgegeben wird.

Es würden auch Kosten entfallen

Ob Busse, U- und S-Bahnen attraktiver würden, wenn man sie umsonst benutzen könnte, ist unter Fachleuten umstritten. Dass man in Templin zum Nulltarif Bus fahren kann, habe keinen nennenswerten Effekt auf die Benutzerstatistik gehabt, erklärten zwei Verkehrswissenschaftler auf einer Tagung 2010. Andere wollen wissen, dass sich die Fahrgastzahlen vervielfacht hätten. Allerdings kann man sich die Forderung nach dem Nulltarif auf anderen Wegen schönrechnen. Einer Studie des Finanzsenators zufolge kostet die Unterhaltung des öffentlichen Nahverkehrssystems jeden Berliner 408 Euro pro Jahr. Der Verzicht auf Einnahmen aus dem Fahrkartenverkauf käme hinzu. Doch würden auch Kosten entfallen, angefangen mit den Automaten über Kontrolleure bis hin zur Strafverfolgung von Schwarzfahrern, möglichen Gerichtskosten und denen für den Vollzug bei Ersatzstrafen.

In den meisten Städten rechnen die Politiker eher klassisch mit realen Einnahmen und Ausgaben – und lassen den Nulltarif im Nahverkehr der Grünen Jugend als Ideal. Nur in Tallin, der Hauptstadt Estlands, haben Busbenutzer freie Fahrt. Angeblich weiß niemand, wie das auf Dauer bezahlt werden soll.

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