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Canan Bayram von den Grünen hat das Direktmandat für den Bundestag gewonnen.

© dpa

Grüne in Friedrichshain-Kreuzberg: Canan Bayram kämpft im Schatten von Ströbele

Canan Bayram hat das Direktmandat im Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg gewonnen. Warum aber war ihr Kampf gegen den Linken Pascal Meister so knapp?

Canan Bayram weiß nicht mehr, in welcher Kneipe sie in der Nacht dann noch mit ihrer Truppe gelandet ist. „Irgendetwas mit T“, irgendwo in der Bergmannstraße in Kreuzberg. Es war ja schon drei Uhr in der Nacht, sie war müde, aber auch zufrieden. Seit einer halben Stunde stand fest, dass sie das Direktmandat gewonnen hatte, dass sie für die Grünen in den Bundestag einziehen wird, dass sie im Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg mit 26,3 Prozent den Konkurrenten Pascal Meiser von den Linken hauchdünn auf Abstand gehalten hatte.

Moment der Wahrheit

Die Rechtsanwältin Bayram hatte im Bezirks-Rathaus von Kreuzberg die Auszählung verfolgt. Um zwei Uhr nachts gab’s immer noch kein Ergebnis, aber einen symbolträchtigen Moment. Hans-Christian Ströbele brummte neben Bayram: „Da passiert nichts mehr“, dann verschwand er mit seiner Frau in der Nacht. Bayram ist das Mandat nicht mehr zu nehmen, wollte er damit sagen. Aber in dem langen Schatten, den er warf, stand immer noch jene Frau, die zunehmend ungeduldiger wurde. Erst 40 Minuten später hatte Canan Bayram Gewissheit.

In diesem Schatten wird sie noch eine Weile stehen, das geht gar nicht anders. Ströbele ist in Friedrichshain-Kreuzberg eine Legende, viermal in Folge hatte er das Direktmandat für die Grünen geholt. Jetzt geht er auf die 80 zu, ist körperlich nicht mehr in bester Verfassung, aber das zählt alles nichts. Sein Mythos ist entscheidend, gegen diesen Mythos hat auch Bayram angekämpft.

Ströbele hat sie unterstützt

Sie ist realistisch genug, das zuzugeben, ein Selbstläufer wie Ströbele war sie nicht, es wäre auch lächerlich gewesen, etwas anderes zu behaupten. „Ich wusste, dass es bei der Wahl eng werden würde“, sagte sie. „Aber Ströbele hat mich immer unterstützt. Er hat an Wahl-Ständen gestanden, er hat in den Wahlkampfsitzungen mitgearbeitet.“ Und ja, es war eng, „aber ich hatte nie das Gefühl, dass es nicht für mich reichen würde. Ich lag ja immer vorn.“

Es gab Momente in diesem Wahlkampf, da war sie weniger gelassen. Da war sie wütend, da war sie fassungslos. Als dieser interne Kommentar von Volker Ratzmann, ihrem Intimfeind, an die Öffentlichkeit kam. „Die ist echt unwählbar“, hatte der frühere Fraktionsvorsitzend der Grünen gesagt.

Zu diesem Zeitpunkt sah es so aus, als würde Renate Künast, noch so ein Urgestein der Grünen, den Einzug in den Bundestag verpassen, wenn Bayram ins Parlament einrücken würde. Weil dann der Listenplatz der früheren Verbraucher- und Landeswirtschaftsministerin nicht mehr ziehen würde. Die Umfragen waren zu schlecht für die Grünen. Künast hat es dann doch noch geschafft.

„Einfach mal die Fresse halten“

Jetzt sagt Bayram, „dass mir das auf jeden Fall geschadet hat“. So ein Kommentar, der war ja heftig. „Keiner wünscht sich, dass die eigenen Leute gegen einen mobilisieren.“ Sie hätte Leute gehört, die sagten: „Wie kann das sein, dass die eigenen Leute gegen einen schießen?“

Andererseits kann auch Bayram gut schießen, so ist es ja nicht. Und sie trifft auch in die Zwölf. Beim Grünen-Bundesparteitag Mitte Juni hat sie den Tübinger Oberbürgermeister Boris Palmer erwischt. Der gilt als Realo und hat einen differenzierten Blick auf die Flüchtlingsfrage. Doch damit kam er der Partei-Linken und Menschenrechts-Anwältin Bayram gerade Recht.

„Einfach mal die Fresse halten“, herrschte sie ihn im Juni an. „Ich würde es wieder machen“, sagt Bayram jetzt. „Ich war wütend, es war eine emotionale Situation. Meine Gefühle lasse ich mir nicht verbieten.“ Sie hat ja auch genügend Unterstützung vom linken Flügel für ihren Zornesausbruch erhalten.

Ein Kreuzberger Wähler vermisste Bayrams Präsenz

Sie bekommt, Wochen später, auch Unterstützung von einer 36-jährigen Kreuzbergerin. Die junge Frau sitzt einen Tag nach der Bundestagswahl vor der Kreuzberger Marheineke-Halle, links ein Kinderwagen, rechts ihren zweijährigen Sohn, dem es herzlich egal ist, warum seine Mutter Canan Bayram so mag.

„Ich fand es klasse, wie sie Boris Palmer so kritisiert hat.“ Die Kreuzbergerin kennt ein paar Menschen der Grünen, und bezüglich der Wahl Bayrams glaubt sie, dass hier die Person gewählt wurde, nicht die Partei. Andererseits hat Pascal Meiser fast so viele Stimmen geholt wie Bayram, aber in Friedrichshain sind die Linken ja traditionell stark. „Mir ist er nicht aufgefallen, ich habe ihn nicht wahrgenommen“, sagt Annika Albert. „Ich weiß nicht, ob man bei ihm die Partei oder die Person gewählt hat.“

Der Bonus ist weg

Ein Kioskbesitzer in der Halle sieht die Person Bayram weniger begeistert. Besser gesagt, er sieht sie überhaupt nicht. „Sie war aus meiner Sicht kaum präsent hier in der Gegend.“ Monika Herrmann, die grüne Bezirksbürgermeisterin von Friedrichshain-Kreuzberg, die tauche viel öfter auf, die sei hier ein Begriff. Aber Bayram? Eher farblos, sagt der Mann hinter seinem Zeitungs-Berg.

Warum war das Rennen zwischen Bayram und Meiser so knapp, so spannend? Das kann der Mann sehr einschätzen, der auf einem Drehstuhl in einem Büro in der Fürbringerstraße sitzt, vor sich einen Computer, neben sich auf dem Boden in einer Pappschachtel zwei Dutzend Exemplare der Kiez-Zeitung „Kiez und Kneipe“. Peter Kaspar ist Herausgeber und Chefredakteur des Kiezblattes, er beobachtet die Szene sehr genau. Ihn wundert das knappe Ergebnis gar nicht. „Die Grünen haben den Ströbele-Bonus verloren“, sagt er. „Der ist hier ja eine Legende.“

"Bayram hat im Wahlkampf nichts falsch gemacht"

Da ist er wieder, der lange Schatten des Rechtsanwalts, den viele auch als das linke Gewissen der Grünen betrachten. Und Bayram? „Die hat nichts falsch gemacht“, urteilt Kaspar. Sie hatte nur das Pech, dass sie sich in Ströbeles Schatten bewegte. Und, sagt Kaspar, „dass Meiser einen wirklich guten Wahlkampf bestritten hat“. Er habe „seine Chance genützt“.

Die Bundes-Grünen haben Bayram, aus Kaspars Sicht, allerdings unfreiwillig eine Steilvorlage geliefert, Munition für ihren Wahlkampf. Die Grünen in Kreuzberg hatten ein missverständliches Plakat zur Mietenpolitik aufgehängt, die Bundes-Grünen distanzierten sich davon, prompt setzten an der Basis in Kreuzberg die Trotz-Reflexe ein.

Wie in einer Wagenburg wurden die Reihen geschlossen, die Bezirks-Grünen waren sauer auf die Bundes-Grünen, sie verteidigten vehement ihr Plakat. „Diese Distanzierung vom Plakat hat Bayram eher noch geholfen“, sagt Kaspar.

Es hat auf jeden Fall gereicht für Canan Bayram. In der Nacht, als sie müde, aber erleichtert feiern war, da traf sie in der Kneipe in der Bergmannstraße auch noch zufällig auf den SPD-Kreisvorsitzenden von Friedrichshain-Kreuzberg. Harald Georgi musste zwar gerade das miese Ergebnis seiner Landespartei verdauen. Höflich war er trotzdem. Er gratulierte Bayram zu ihrem Wahlerfolg.

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