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Berlin: Grüne Parteilinke fordern mehr Macht Rot-Schwarz erkundet Geldquellen

Nach dem Scheitern der Koalition sucht die stärkste Oppositionsfraktion ihren neuen Kurs In den Koalitionsverhandlungen streiten SPD und CDU über eine höhere Grunderwerbsteuer und eine City-Tax

Von Ulrich Zawatka-Gerlach

Der linke Flügel der Berliner Grünen-Fraktion stellt die Machtfrage. Am kommenden Dienstag will die linke Abgeordnete Canan Bayram bei den Fraktionsvorstandswahlen für einen Vorstandsposten kandidieren – gegen die amtierende Fraktionschefin Ramona Pop. Sollte Bayram, die 2009 von der SPD zu den Grünen wechselte, scheitern, will, wie berichtet, der Parteilinke Dirk Behrendt gegen Fraktionschef Volker Ratzmann antreten. „Wir beanspruchen einen der beiden Vorstandsposten“, sagte Behrendt – als Lohn für das starke Abschneiden parteilinker Kandidaten bei der Wahl. Zwölf der 29 Fraktionsmitglieder, also rund 41 Prozent, werden dem linken Flügel zugerechnet. Obwohl einige Abgeordnete noch unentschlossen sind, gilt eine Abwahl von Pop und Ratzmann aber als unwahrscheinlich.

Ungeteilte Unterstützung von den Parteilinken hat Canan Bayram mit ihrer Kandidatur. Die 45-jährige Rechtsanwältin arbeitet erst seit zwei Jahren in der Grünen-Fraktion, inzwischen als integrationspolitische Sprecherin. Sie gilt nicht nur bei der Parteilinken als ehrliche Teamarbeiterin und integrationswillig, was die Parteiflügel betrifft.

Während Ratzmann die Gegenkandidaturen als „normalen demokratischen Vorgang“ bezeichnet, weht der bisherigen Fraktionsspitze ein scharfer Wind entgegen. Viel Kritik gab es an seiner Person und seinem kategorischen Ausschluss des Weiterbaus der Stadtautobahn A 100 kurz vor der Wahl, den Grüne wie der Bundestagsabgeordnete Christian Ströbele als strategischen Fehler bewerteten. 17,6 Prozent schafften die Grünen bei der Wahl: immerhin 4,5 Prozentpunkte mehr als 2006. Und dazu trugen vor allem die Parteilinken bei: Fünf von sechs Direktmandaten gewannen sie in Friedrichshain-Kreuzberg, zwei in Neukölln. Und im linken Kreisverband Friedrichshain-Kreuzberg holte Behrendt mit fast 50 Prozent das beste Erststimmenergebnis in Berlin. Acht grüne Kandidaten allein aus dem Bezirk zogen ins Abgeordnetenhaus ein.„Es ist ein normaler Prozess, dass sich die Linken in der Fraktion behaupten wollen“, sagt Franz Schulz, der grüne Bürgermeister von Friedrichshain-Kreuzberg.

Unter Rot-Rot lautete das Credo der Grünen in der Opposition „konstruktiv, kreativ, kritisch“, dann verfolgte die Fraktion kurzzeitig das Konzept „Jamaika in der Opposition“. Mit CDU und FDP buhlte man um die Wähler aus der Mittelschicht. Und nun? Die FDP hat sich in die außerparlamentarische Opposition verabschiedet, die CDU sitzt mit der SPD bald einträchtig auf der Regierungsbank.

Opposition können die Grünen. Als stärkste Oppositionspartei im Abgeordnetenhaus neben der Linken und den Piraten wollen sie laut Ratzmann einen „Kurs der Eigenständigkeit“ fahren. „Wir sind eine linke Partei, die den erreichten Anschluss an die progressiven Teile des bürgerlichen Lagers nicht verlieren darf.“

Parteichef Daniel Wesener avisiert für die Grünen die „Meinungsführerschaft im linken Lager“. Die SPD drifte mit der CDU nach rechts ab, die Linken müssten sich nach zehn Jahren Rot-Rot erst wieder finden, und die Piraten sich erst selbst intern sortieren. „Wir haben die Chance, uns auf unsere Stärken zurückzubesinnen“, sagt Wesener und weist auf die „Occupy-Bewegung“ hin. Die Proteste gegen die politische Dominanz der internationalen Finanzwirtschaft deckten sich mit grünen Kernthemen wie Wachstumskritik oder sozialer Gerechtigkeit, betont auch Franz Schulz. „Die Grünen brauchen wieder klare Inhalte und die Besinnung auf das Soziale.“ Seine Partei müsse „renitenter“ auftreten, und „offener für Themen sein, die sich außerhalb der eingetretenen Pfade bewegen“.

Ob sich der grüne Parteikurs deutlich nach links verschiebt, wird sich zeigen. Vorstandswahlen können dafür ein gutes Barometer sein. Sabine Beikler

SPD und CDU suchen nach Wegen, für den notleidenden Berliner Landeshaushalt neue Einnahmequellen zu erschließen. Nur so viel ist bisher klar: Mit der mächtigsten (und bissigsten) Lobby der Stadt will man sich nicht anlegen. Die Hundesteuer soll nicht angehoben werden. Aber es wird darüber diskutiert, die Grunderwerbsteuer zu erhöhen und eine Touristenabgabe (City-Tax) zu erheben. Durch die Anhebungen könnten jährlich 70 Millionen Euro mehr in die Landeskasse strömen. Eine Einigung gibt es bisher nicht. Beide Parteien haben das Thema „strittig gestellt“ und vertagt.

Finanzsenator Ulrich Nußbaum (parteilos, für SPD) hatte hatte schon drei Monate vor der Wahl im Abgeordnetenhaus angekündigt, dass die Anhebung der Grunderwerbsteuer von 4,5 auf fünf Prozentpunkte „eine Option“ sei. Dies könne einen Beitrag dazu leisten, die Landesfinanzen zu stabilisieren. Berlin würde in diesem Fall dem Beispiel von Nordrhein-Westfalen, Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz folgen. Hamburg erhebt beim Verkauf einer Immobilie sogar einen Steuersatz von 5,5 Prozent. Bundesweit werden solche Erhöhungen der Grunderwerbsteuer vom Wirtschaftsverband der deutschen Immobilienwirtschaft (ZIA) kritisiert, weil dies die Eigentumsbildung erschwere. Vor allem für junge, nicht so finanzstarke Familien.

Die Grunderwerbsteuer fällt beim Erwerb unbebauter und bebauter Grundstücke an. Zahlen muss in der Regel der Käufer. Angesichts des Immobilienbooms in der Hauptstadt ist diese Steuer eine Goldgrube. Im vergangenen Jahr flossen 394 Millionen Euro in die Landeskasse, im nächsten Jahr sollen es – noch auf Grundlage des alten Steuersatzes – 450 Millionen Euro sein. Mit einer Erhöhung der Grunderwerbsteuer um 0,5 Prozentpunkte könnten es sogar 500 Millionen Euro werden. Aber noch ist nichts beschlossen. Die Finanzpolitik der rot-schwarzen Koalition soll erst in der großen Verhandlungsgruppe am 11. November festgelegt werden.

Eine Erhöhung der Gewerbe- oder der Grundsteuer ist für Sozial- und Christdemokraten tabu. Das zarte Pflänzchen des Wirtschaftsaufschwungs soll nicht geschädigt werden. Die letzte Anhebung liegt zwölf Jahre zurück. Aber auch ohne höheren Hebesatz stiegen die Einnahmen aus der Gewerbesteuer im vergangenen Jahr um 27,2 Prozent auf 1,22 Milliarden Euro. Dieser Anstieg war bundesweiter Rekord. Eine höhere Grundsteuer ist problematisch, weil sie nicht nur die Eigentümer von Immobilien dauerhaft belastet, sondern über die Betriebskosten an die Mieter weitergegeben wird. Die letzte Grundsteueranhebung liegt fast fünf Jahre zurück. Im Bundesrat streiten die Länder seit geraumer Zeit darüber, die Bemessungsgrundlage für die Grundsteuer zu vereinheitlichen und zu modernisieren. Bisher ohne Ergebnis, und es ist nicht gesagt, das nach einer Reform insgesamt mehr Geld in die kommunalen Kassen fließt.

Die Vergnügungssteuer wurde bereits Anfang 2011 von elf auf 20 Prozentpunkte fast verdoppelt. Eine höhere Hundesteuer bringt viel Ärger, aber wenig Geld: 10,5 Millionen Euro waren es 2010. Spielbankenabgabe oder Zweitwohnungssteuer sind ebenfalls nur marginale Einnahmequellen. Fast alle übrigen Steuerarten können von Ländern und Gemeinden nicht direkt beeinflusst werden.

Und dann gibt es noch die City-Tax. Ursprünglich eine Idee der Grünen, aber auch SPD und Linke konnten sich für eine solche Übernachtungsabgabe für Touristen erwärmen. Beschlossen wurde in der alten Wahlperiode aber nichts, zumal es juristische Probleme zu bewältigen gab. Die CDU ist nicht begeistert von der City-Tax, die in Metropolen wie New York, Paris oder Brüssel längst eine lohnenswerte Einnahmequelle sind. Finanzsenator Nußbaum wirbt dafür unentwegt seit 2010, und er hofft, dass die Tourismusabgabe ab 2013 erhoben werden kann. Sie bringt schätzungsweise 20 Millionen Euro jährlich ein. Gedacht ist an fünf Prozent der Übernachtungskosten. Das Geld soll zur Verbesserung der touristischen Infrastruktur eingesetzt werden.

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