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Viel Folklore fürs Volk. Auf der Grünen Woche geben die Gastländer wieder alles, um die Messebesucher auf die regionalen Besonderheiten einzustimmen.

© dapd

Grüne Woche: Gänsemarsch und Balalaika

Dioxin-Schock? Aber nicht doch. Die Grüne Woche lässt sich die Freude an Menschen, Tieren und Agrarsensationen nicht vermiesen.

Hier und da wird es heißen, die Grüne Woche stehe dieses Jahr unter Dioxin-Schock. Die Wahrheit ist: Sie denkt gar nicht dran. Wie jedes Jahr handelt es sich um eine fröhliche Schau, die auch „Menschen, Tiere, Agrarsensationen“ heißen könnte, und wie schon lange hat sie einen stark osteuropäischen Einschlag,  der in der majestätisch ausgestatteten Halle der russischen Föderation gipfelt, voll mit Balalaikas, High Heels und Tiefkühlfisch.

Dennoch sind Unterschiede von Jahr zu Jahr durchaus festzustellen. Über 2011 wird man sagen dürfen: Das Jahr markiert den Aufstieg der laktosefreien Milchprodukte und den Abstieg der Schauköche, die nur noch ganz bescheiden vor sich hin schnitzeln dürfen und durchweg von so geringer Prominenz sind, dass es allenfalls fürs Dschungelcamp reichen würde. Immer noch gern genommen werden rustikale Kapellen, zumal im Bayerischen, wo zum handfest geschmetterten Defiliermarsch die blau-weiß karierten Deckchen flattern, während ein König-Ludwig-Darsteller fürs Foto gerichtet wird, oder in der Brandenburg-Halle, wo das Polizeiorchester des Landes ein dezent swingendes Umtata exerziert, wie es Opa Hoppenstedt wohl gefallen hätte.

Brachiale Folklore, feinsinnig angerichtete Kost und papierne Randerscheinungen halten sich auch in diesem Jahr die Waage. Im Non-Food-Bereich treffen wir auf die Bundeswehr, die „Deutsche Vernetzungsstelle Ländliche Räume“ und die zahllosen Hersteller von Gemüsehobeln, Wintergärten und Murmeltierfett; überall werden verschmierte Spiegel wieder blank geputzt, offenbar die Königsdisziplin des Hausfrauenzehnkampfs.

Zum Nichtessbaren gehört auch die Blumenhalle, die dieses Jahr im Zeichen der Musik steht, was sich in einem Flötisten, allerhand blumenumrankten Instrumenten und adrett aus Weidenruten geknüpften Violinschlüsseln manifestiert. Die Stimmung ist in der einen, diagonal geteilten Hälfte licht und heiter, in der anderen, die an einen Ballsaal erinnert, eher mozartkugelrot.

Das meiste Interesse ziehen stets die Stände der Länder auf sich, die diesmal so umgeschichtet wurden, dass auch Grüne-Woche-Profis ratlos im Kreis irren, vor allem das Verlassen der Blumenhalle ist ohne Navigationssystem praktisch unmöglich. Polen, das Partnerland dieses Jahres, präsentiert sich munter aufgefrischt Schulter an Schulter mit dem gleichfalls reanimierten Frankreich. Norwegen und vor allem Schweden profilieren sich ganz diskret als Heimstatt der neuen skandinavischen Küche, und auch die Marokkaner haben sich ehrgeizig mit einem Wüstenfort inszeniert – drinnen wuselte sogar der Hamburger Starkoch Wahabi Nouri am Herd herum, allerdings nur für den Eröffnungstag.

Den Preis für die am besten duftende Inszenierung nehmen wie üblich die Italiener entgegen, die ihre Würste und Schinken raffiniert gehäuft in den Besucherstrom hängen. Die abgeschmackteste Institution ist, wie ebenfalls üblich, die deutsche Weinstraße mit ihren aufdringlichen Drückerkolonnen, die inzwischen auch die Repräsentanz der meisten anderen Weinländer an sich gerissen haben. Dies ist definitiv keine Weinmesse – wer dennoch ein Glas trinken will, sollte das dort tun, wo es etwas kostet, also beispielsweise bei den Schweizern, die sich sonst als Käse- und Schokorepublik ein wenig arg stereotyp inszenieren. Die Holländer haben sogar ihren Starverkäufer Harry Wijnvoord reaktiviert, eine Idee, die imagemäßig voll in die Tulpen geht, gleichwohl große Heiterkeit auslöst.

Ostdeutschland ist übrigens durch die Linkspartei vertreten, die einen kleinen, leicht zu übersehenden Stand mit dem eigenartigen Motto „Wald. Wirtschaft. Wir.“ errichtet hat. Gesine Lötzsch war zur Eröffnung da, und das weitere Programm für den Freitag verhieß eine Steigerung: „Märchen lesen mit MdB Harald Koch“ um 14 Uhr und „Märchen lesen mit MdB Johanna Voss“ um 15 Uhr 30. Die Grüne Woche, so scheint es, ist in diesem Jahr auch ein Fest der Selbstironie – wenn auch vielleicht nicht immer mit voller Absicht.

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