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Mäh ihr Schafe... Schäfchen beim Eröffnungstag der Grünen Woche am 18. Januar in Berlin.

© REUTERS/Fabrizio Bensch

Grüne Woche in Berlin: Nachhaltig immun gegen den Zeitgeist

Jackfrucht, Bier und Hornhauthobel: Ein durchaus unvollständiger Rundgang über die Grüne Woche 2019.

Die größte Landwirtschaftsmesse der Welt ist inzwischen so groß geworden, dass der neugierige Besucher ein Navigationssystem, die Ausdauer eines Triathleten und die Durchsetzungsfähigkeit eines Ringers braucht – und dann trotzdem nach ein paar Stunden irgendwo erschöpft strandet. Je nachdem, welchen Eingang man zur Grünen Woche wählt, erschließt sich ein komplett anderes Bild. Nur voll, sehr voll, ist es überall.

Wer die langen Wege scheut, für den gilt nach wie vor der Ratschlag, morgens bei den Bayern anzufangen, mittags einfach dazubleiben und dann den Tag dort in aller Ruhe ausklingen zu lassen. Unfassbar, mit welcher Präzision hier gleich nach dem Frühstück eine Art Oktoberfest der gemütlichsten Klischees ausgerollt wird, mit Schuhplatteln, einer Musi und lautem Goaßlschnalzen, das wie ein Feuerwerk durch die Halle kracht. Vom Bier sediert und von der Krachledernen zusammengehalten versichern sich alle ihrer Wertschätzung, und wie schön das Land der Bayern doch immer noch sei.

So bunt wie das Gemüse ist bei der Grünen Woche auch die Auswahl an Spezialitäten. Da ist für wirklich jeden etwas dabei.
So bunt wie das Gemüse ist bei der Grünen Woche auch die Auswahl an Spezialitäten. Da ist für wirklich jeden etwas dabei.

© Tobias Schwarz/ AFP

Ist es ja auch, aber das gilt auch für viele andere Länder, die ebenfalls vorkommen wollen und sich und ihre Agrarkultur in den leuchtendsten Farben malen. Grundiert ist das alles aber selbstverständlich mit dem schlechten Gewissen des Nährstands, der sich heutzutage für jeden nicht nachhaltig genutzten Pferdeapfel verantworten muss und von den Demonstranten draußen alljährlich laut mitgeteilt bekommt, dass er trotzdem nur Mist baue.

Als Wanderin zwischen diesen Gegensätzen profiliert sich Landwirtschaftsministerin Julia Klöckner, die ihre Karriere bekanntlich als Weinkönigin auf ebendieser Grünen Woche begonnen hat und nun im knallblauen Kostüm durch die Hallen zieht, ihre Gunst gleichmäßig an Gerechte und Ungerechte verteilend. „Landwirtschaft mit Herz und Drohne“ heißt es am Stand ihres Ministeriums, das könnte von ihr sein.

Auf dem Erlebnisbauernhof muss sie auf die Bühne, da steht auch schon Michael Müller, der ansonsten eine eigene Agenda verfolgt und mit der Ministerin aus dem anderen politischen Lager wohl auch nicht viel anfangen kann; einig sind sie sich aber im Lob der Grünen Woche und des Erlebnisbauernhofs, und wie schön so etwas doch gerade für die armen Stadtkinder sei, die noch nie einen leibhaftigen Bauern gesehen hätten.

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Parallel zu den Politiker-Rundgängen zieht an diesem Vormittag eine aufgekratzte Blaskapelle durch die Reihen, die „Volare“ und andere goldene Hits ohne Rücksicht auf den jeweiligen Gastgeber dahintrötet – das wirkt besonders skurril bei den Finnen, die sich als diesjähriges Gastland besondere Mühe geben und ihre kulinarischen Schätze mundwässernd ausbreiten, Ren und Elch und Brot und Maränen, seltsame Käse und kuriose Kräuter.

Immer dieselben Würste und Schinken von Österreich

Das Vorbild für eine solche offizielle Präsentation, die den Besucher ernst nimmt und mit zeitgemäßen, nicht zu teuren Kostproben lockt, ist gleich nebenan bei den Norwegern zu finden, die schon länger im 21.Jahrhundert angekommen sind; beide Länder bringen auch echte, gute Köche mit und bewirtschaften ein kleines Restaurant mit ungewöhnlichen Gerichten. Schweden kommt langsam auch auf den Dreh, und aus Dänemark gibt es immerhin Bornholmer Lakritz und Bio-Brause, Estland, Lettland und Litauen geben sich erkennbar Mühe – die Grüne Woche auf dem Weg nach Skandinavien und ins Baltikum.

Andere gute Bekannte liefern allenfalls Durchschnittskost, weil sie keine offizielle Präsentation finanzieren, sondern ihre Stände an die üblichen verdächtigen Importeure verhökern. Besonders seltsam ist das beim peinigenden Auftritt Österreichs, das viel Platz für immer dieselben Würste und Schinken vertut, Hornhauthobel und Kaffeehausmusik nebeneinandersetzt und den doch wunderbaren Wein des Landes von Drückerkolonnen präsentieren lässt. Auch Italien bietet das übliche Nebeneinander von Wurst und Käse, bunten Bonbons und, immerhin, schwarzen Trüffeln. Doch ob sich Besucher finden, die für einen trüben „Truffel Toast“ mit ein paar Krümeln der Pilze fünf Euro ausgeben?

Immerhin Holland: schafft es mal wieder, trotz der ewigen Tulpen zeitgemäß und den Umständen entsprechend stilvoll zu wirken; Marokko lockt mit Kreuzkümmeldüften und bringt das Kunststück fertig, herumziehende ungarische Musiker in die eigene Maghreb- Kapelle zu integrieren; die Schweiz ist wieder da mit Käse und Schokolade und Käse und Schokolade; und Frankreich ... Frankreich ... ist sicher auch irgendwo versteckt, es steht auf der Liste.

Die benachbarten Bundesländer sind nachhaltig immun gegen jeden Zeitgeist

Egal: Den gewaltigsten Auftritt haben bekanntlich schon seit Jahren sowieso die benachbarten Bundesländer, nachhaltig immun gegen jeden Zeitgeist. Wurst und Schnaps, Räucherfisch und Senf und saure Gurken halten alles zusammen, die penetrante Störtebekerei wird von Shantychören und Blaskapellen untermal und viel moderner wirkt auch die Rockband nicht, die im Auftrag Sachsen-Anhalts Deutschrock-Heuler aus der Jugend ihrer grauköpfigen Zuhörer reanimiert.

Für Thüringen schnitzt der Holz-Flori mit der Kettensäge aus einem Baumstamm einen überdimensionalen Apfelgriebsch, das ist zwar sinnfrei, aber noch lauter. Im Auftrag Berlins dudelt nur ein einsamer Saxofonist zu Samples von der Festplatte, das ist aber okay, weil der diesmal einheitlich gestaltete und vergrößerte Stand der Stadt zumindest ein wenig von den vielfältigen Start-ups in Sachen Feinkost erzählt, Craft-Bier und Schokoküsse und Selbstgebranntes zeigt.

So oder so: Für jeden, wirklich jeden Geschmack ist 2019 etwas dabei, das Angebot wird immer breiter. Zu nennen wäre auf der einen Seite die „NVA-Edelsuppe“ aus der Altmark, gelbe Erbsen mit Schweinebauch und Speck. Ganz authentisch, denn wir erfahren, der Firmenchef habe sie genau so schon als Armeekoch zubereitet. Das andere Ende markieren die Mittelmeer-Grillen mit Kräutern und Knoblauch, die der Spezialist Frank Ochmann gelassen röstet. Oder lieber Mehlwürmer mit Limetten und Meersalz? Auch die Jackfrucht ist schwer im Kommen, sie lässt sich wie Fleisch zubereiten, kann aber noch nicht nachweisen, dass das unbedingt sein muss.

Und die Politik? Kommt durch die Hintertür. Russland mit einem gegenüber frühen Glanz- und Protzzeiten stark minimierten Auftritt residiert in der Halle 2.2 – wo die ironische Messeregie die Bundeswehr unmittelbar danebengesetzt hat. Die Halle ist übrigens zur Hälfte leer, das sieht fast so aus, als sei da noch was frei gehalten worden für irgendwen. Im nächsten Jahr wissen wir eventuell mehr.

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