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Männer, die auf Fische starren. Berlins neuem Regierenden Bürgermeister Michael Müller (links, SPD) und Bundeslandwirtschaftsminister Christian Schmidt (CSU) fehlte noch die Wowereit’sche Gelassenheit, die Narreteien der Agrarmesse abzuwehren.

© Michael Kappeler/dpa

Grüne Woche in Berlin: Wenn Männer an Fischen schnuppern

Lettland stark, Russland schwächelt: Die Grüne Woche ist immer auch Spiegel des politischen Zeitgeistes. Und die Neuen? Berlins Regierender Michael Müller und der Bundeslandwirtschaftsminister Christian Schmidt hatten es nicht einfach.

Wie heißen die beiden Herren? Müller und Schmidt? Und was tun die da? Sie absolvieren den Eröffnungsrundgang, Debütanten, alle beide. Michael Müller, der Regierende und Christian Schmidt, der Landwirtschaftsminister, sind zum ersten Mal auf der Grünen Woche, da fehlen noch Gelassenheit und Erfahrung, sie lassen die Versuchungen nicht mit Wowereit’scher Gelassenheit abprallen, sondern machen allerhand Narreteien mit, die man später gegen sie verwenden wird, das Schwenken der Schweizer Fahne beispielsweise. Die Schweizer selbst sind beglückt, sie können jeglichen Zuspruch brauchen angesichts der Tatsache, dass ein ordentliches Fondue bald ein Euro-Wochengehalt kostet. Emmentaler-Hamsterkäufe wären anzuraten.

Irgendwie ist alles auf der frisch eröffneten Grünen Woche politisch, ganz sicher das westliche Bekenntnis zum Baltikum, das sich in der Wahl des Gastlandes zeigt: Lettland. Es ist, wie sich bei einem ersten Rundgang zeigt, wohl ein schönes Land, geruchlich so ähnlich wie Meckpomm, nur mit Elchen statt Piraten. Und es ist waldreich! „In vier Sekunden wächst in Lettland 3,8 Kubikmeter Wald“, steht da auf dem Monitor, „was einem ganzen Nilpferd entspricht“. Dieses starke Bild bringt den Besucher dazu, sich im deutschen Wald rückzuversichern, und in der Tat, dort wachsen alle sieben Sekunden 27 Kubikmeter, was eindeutig mehr ist. Die Zahl der Nilpferde steht nicht dabei, aber es läuft auf knapp einen Calmund hinaus.

Ach, und Russland. Das Land hat in den vergangenen Jahren großmächtige Präsentationen vollführt, mit Balalaika, Volkstanz und Oligarchendarstellern ohne Ende – das ist offenbar vorbei. Die Halle ist immer noch dieselbe, und sie ist groß, doch drinnen klaffen Lücken von der Größe des Roten Platzes, vielleicht waren sie der Landwirtschaft der Krim vorbehalten, die es dann zeitlich nicht mehr gestemmt hat. Die politische Stimmung liegt bleiern über den autonomen Republiken und ihren Räucherfischen, aber auch an anderen Ständen ist die Welt nur noch scheinbar heil. Die Marokkaner zum Beispiel haben einen von Wohlgerüchen prallen Premium-Orient wie bei Ali Baba hingestellt, aber der ist gegenwärtig doch nur schwer glaubhaft zu vermitteln.

Aber brauchen wir den Orient überhaupt noch? Die Erfindung der Dönersuppe zum Beispiel geht auf eine Firma im Harz zurück, die damit sogar Berlin düpiert. Und was brauchen wir edle Araber-Hengste, wenn wir das Deutsche Reitpony haben, wie der schmucke „Steendieks Commander Bond“ eins ist? In der großen Tier-Arena in Halle 25 wird die Rasse gerade prämiert, und da sieht man, dass es den Deutschen bitterernst ist mit ihren Pferden. Sogar der Sieger kriegt vom Sprecher hingerieben, er sei „ein bergauf konstruierter Hengst, der vielleicht noch ein wenig mehr Harmonie und Rasse haben dürfte“, also wirklich. Immer dieses Gemäkel!

Aber Regionalisierung liegt ja weltweit im Trend, und die Grüne Woche strebt voran. Das dichteste Gewimmel wimmelt also ab sofort in der Brandenburg- Halle, wo sich unzählige Märker der fortdauernden Existenz ihrer Heimat sowie derer Würste, Biere und Senfsorten versichern. Die Messe ist auch immer ein Höhepunkt im Leben des brandenburgischen Landespolizeiorchesters, das seine sämigen Tanzorchesterklänge unbeschadet jeglicher Stellenstreichung so in die Halle schmettert, dass es sogar Opa Hoppenstedt gefallen hätte. Ist Brandenburg wirklich so? Man muss es befürchten.

Aber auch der Osnabrücker Raum gibt sich mit Lust provinziell. Die „Wittlager Kartoffelplate“, lesen wir da, sei „die deutsche Antwort auf die Pizza“. Man wüsste gern, was die Pizza davon hält; für alle Fälle wohnt im Zelt vor der Kartoffelplatte ein Mann im Blechwams, bei dem es sich wohl um jenen Germanicus handelt, der es einst den Römern gezeigt hat, nachzuvollziehen im Sommer in der Ausstellung „Ich. Germanicus“ im Park Kalkriese. Varus-Versteher werden damit ihre liebe Not haben, ihnen empfehlen wir zur Beruhigung die alkoholfreie „Pina-Kuh-Lada“, die gleich nebenan verkauft wird.

Nicht, dass dies eine Abstinenzler- Messe wäre. Schon am Morgen des ersten Tags trennen sich die deutschen Nationalcharaktere. Man könnte generell vielleicht sagen, dass der Bayer schon die zweite Maß angeht, wenn der Brandenburger noch ums erste Birnenschnäpschen herumschleicht. Berlin läuft ein wenig außer Konkurrenz, hier wird das kulinarische Urgestein namens Mampe oder Pfennigs durch ein paar flotte Start-ups ergänzt, die gut zum Plakatmotiv der Messe passen, dem Hipster, der auf einem Hocker aus Hartkäse posiert.

Selbst die Blumenhalle atmet teutonische Historie. In einer Ecke steht die Wartburg, nur geringfügig verkleinert, es handelt sich um eine Art Thüringer Regenwald, und Bäume ragen zur Decke, als würden Chipperfields Stämme aus der Nationalgalerie hier weiterverwendet. Nachwachsende Rohstoffe sind das Thema überhaupt, wenn auch unklar bleibt, weshalb die „Fachschau Nachwachsende Rohstoffe“ ausgerechnet zum Kuhfladenweitwurf lädt.

Immerhin müssen wir Kuhfladen noch nicht essen. Viel schöner sind belgische Pralinen, die kulant abgegeben werden: „Wir akzeptieren die gute alte DM“, steht dort. Wissen die Belgier etwas, was wir noch nicht wissen? Immerhin bestehen sie nicht auf Schweizer Franken.

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