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Berlin: Grüne Woche: Rinder streicheln gegen den Wahnsinn

Die Grüne Woche bleibt eine Attraktion. Auch bei der 66.

Die Grüne Woche bleibt eine Attraktion. Auch bei der 66. Auflage zog die Landwirtschaftsmesse am ersten Sonnabend, schon immer einer der stärksten Tage während der Schau, die Massen an. 57 113 Besucher kamen gestern; an den ersten beiden Tagen waren es lediglich einige Hundert weniger als im Vorjahr. Trotz BSE-Krise und altbackenem Image der Grünen Woche haben die Verbraucher das Interesse an den Themen Landwirtschaft und Ernährung also offenbar nicht verloren. Und eine Tagesspiegel-Umfrage unter Besucherinnen und Besuchern zeigt auch: Wer zur Grünen Woche kommt, tut dies nicht immer aus Gewohnheit, sondern oft mit klaren Interessen und Fragen - auch, aber nicht nur zum Thema Rinderwahn.

Ein häufig genanntes Motiv ist die Möglichkeit, viele lebende Tiere zu sehen. Vor allem Familien und Großeltern mit Enkelkindern drängelten sich in Halle 25 vor den Gehegen mit Pinzgauer Rindern, Pferden, Schafen und allerlei Geflügel. Sylvia und Michael Willert aus Mitte wollen, dass Tochter Natascha sich die Pferde aus der Nähe ansehen kann.

Es sind nach wie vor die Mädchen, die sich für die Pferde interessieren. Maren Seidel ist 13 und eine echte Pferdenärrin, wie sie selbst verlegen zugibt. Mit Opa und Oma auf die Grüne Woche? Nein, peinlich findet sie das nicht. "Ganz im Gegenteil" - und zum Thema BSE sagt sie, dass die Messe "damit doch gar nichts zu tun hat". Darin stimmen ihr viele Besucher zu. Von Berührungsängsten mit Rindern jedenfalls kann keine Rede sein. Ein Aussteller aus Österreich, der Kälber und Zuchtbullen verkaufen will, sagt, der Wunsch, die Tiere zu streicheln, sei ungebrochen.

Daniel Weber und Tobias Philipp sind zwei Grüne-Woche-Gäste, wie sie sich die Messegesellschaft nur wünschen kann: Jung (Anfang 20), zum ersten Mal da (haben also echtes Interesse), aus Pritzwalk (spricht für die Ausstrahlung der Grünen Woche ins Umland) und zufrieden ("ist zwar voll, aber interessant"). BSE ist für die beiden jungen Männer kein Thema: "Wir wollten uns vor allem die Trecker ansehen", sagt Daniel Weber. Sabine Baum aus Teltow sieht das ähnlich: "Von wegen BSE ist es eh zu spät." Sie will sich auf der Grünen Woche aber nicht nur Tiere ansehen, sondern auch Menschen, die sich Tiere ansehen. "Ich habe gesehen, wie sich Leute die Nase zuhalten, wenn sie in die Tier-Halle kommen." Nicht jeder scheint die Landluft gewöhnt.

Die Bauern freilich, die sich auf der Grünen Woche beruflich informieren, kann solcher Duft nicht irritieren. Sybille Haufe ist mit ihrem Vater aus Leipzig gekommen - sie sehen sich verschiedene Rinderrassen an, Vater Haufe fachsimpelt mit einem Züchter. Später gehen sie zum Stand der Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung, der über Etikettiersysteme informiert - die Konzeption stammt noch aus glücklicheren Tagen, als sich Deutschland BSE-frei glaubte. Darum machen Heinrich Heigl und Dorothea Brunetto auch allen klar: "Auch die drei Ds für Geburt, Aufzucht und Schlachtung in Deutschland sagen nichts über BSE aus."

Alfred Strauß aus Dresden hat ein ganz spezielles Motiv für seinen Messebesuch: "Solidarität mit unseren Bauern." Alle drei Jahre schaut er sich die Ausstellung an, doch dieses Jahr hat er erstmals ein beklemmendes Gefühl. "Stellen Sie sich vor, da läuft so ein Landwirt über die Grüne Woche, und wer weiß, vielleicht muss morgen seine ganze Herde abgeschlachtet werden. Und am nächsten Tag steht der Bauer vor dem leeren Stall ... ich will gar nicht daran denken", sagt der 72-jährige, der früher selbst Pferde gezüchtet hat.

Und dann gibt es natürlich die klassischen Gründe für einen Grüne-Woche-Besuch. Hans-Peter Fettig aus Templin ist zum ersten Mal auf der Messe und hat keinerlei Informationsbedarf: "Ich will mich durch möglichst viele Spezialitäten durchprobieren", erklärt er. Um Produkte mit Rindfleisch will er aber einen Bogen machen. "Obwohl man das hier vielleicht sogar gratis bekommen würde", witzelt er. Bekannte hatten ihm vorgeschwärmt, bei der Messe in Berlin könne man sich umsonst den Bauch vollschlagen, jetzt ist er enttäuscht, dass es nur ein paar Häppchen zum Nulltarif gibt. Was viele der Messebesucher jedoch nicht stört: "Ich finde es ganz in Ordnung, so lange die Preise angemessen sind", sagen Anke und Heinrich Ahlemann aus Schwedt. Sie suchen hier auch die Heimatgefühle: "Weil wir ursprünglich von da kommen, wollen wir vor allem den Meck-Pomm-Stand sehen."

Jan Speer aus Mitte ist zwar ein kritischer Konsument und will als nächstes zum Öko-Markt, aber wie so viele kann er sehr wohl zwischen Grüner Woche und Krise der Landwirtschaft unterscheiden. "Besonders jetzt ist es doch interessant, was die Bauern zu sagen haben", meint er. Informiert hat er sich zu diesem Zeitpunkt noch nicht. Er wäre nicht der einzige Grüne-Woche-Besucher, der ein dickes Paket Broschüren von der Centalen Marketing-Gesellschaft der deutschen Agrarwirtschaft (CMA) unter dem Arm trägt. Doch auf der Rückfahrt mit dem Bus 149 vom ICC zum Zoo haben einige Besucher den Papierbalast schon wieder abgeworfen. Im Bus liegen viele der Faltblätter auf dem Boden.

Jörg-Peter Rau

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