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GRÜNES Rathaus (5): Künast-Kolumne: Organisierter Widerstand

Was hätte Renate Künast als Regierende zu erzählen? Stefan Stuckmann erfindet ihre Briefe an die Wähler.

Liebe Berlinerinnen, liebe Berliner,

am Sonntagabend saß ich noch mit meinem Stellvertreter Andi Baum bei mir im Büro, um gemeinsam den Text für das Krippenspiel zu lernen, als plötzlich Kollege Kretschmann aus Stuttgart anrief. Der Gute war völlig aufgelöst, und kein Wunder: Da erreichen die Bahnhofsgegner beim Volksentscheid zwar die eindeutige Mehrheit, verfehlen aber das Quorum um genau eine Stimme. Ich hab dann den Hörer weitergereicht an Baumi, der Kretsche seine Theorie mit den Illuminaten erklären wollte, und mich wieder auf das Krippenspiel konzentriert. Ich weiß nach wie vor nicht, ob es die richtige Entscheidung war, Dirk Behrendt die Rolle des Jesus zu überlassen, denn rein vom Charisma wäre das ja eigentlich mein Part, und ich glaube auch, dass Jesus eher Realo war, zumindest bis zur Kreuzigung. Andererseits habe ich als Josef deutlich mehr Text, und meine Idee, den Esel durch einen Elektro-Smart zu ersetzen, kommt sicher gut an.

Aber wie ich mich dann ans Fenster stelle und meine Dialoge übe, sehe ich plötzlich diese Rauchwolke am Horizont. Genau über der Kastanienallee. Wie wir inzwischen wissen, hat der örtliche Wutbürger-Stammtisch ein Public Viewing der Volksabstimmung in BaWü veranstaltet. Die Stimmung war ohnehin schon aufgeheizt, weil kurz zuvor zwei Kinderwagen auf dem durch neue Parkbuchten gefährlich verengten Bürgersteig kollidiert waren. Die Yogamatte einer der Mütter hatte sich so im Verdeck verkeilt, dass der kleine Friedrich aus seiner Windel geschnitten werden musste, um befreit werden zu können. Ein Pulverfass! Und dann die Nachricht aus Stuttgart. Innerhalb von Minuten breitete sich die Gewalt aus. Zufahrtswege und Straßenbahnschienen wurden von allen Seiten mit Mauern aus bedruckten Jutebeuteln blockiert, eines der letzten übermittelten Bilder zeigt drei Männer in Karottenhosen, die das lebensgroße Modell einer Kaphaltestelle verbrennen.

Baumi und ich wollten uns dann in den Atombunker unter dem Rathaus flüchten, aber wenn man dem Plan folgt, den Wowi mir bei der Amtsübergabe zugesteckt hat, dann kommt man nur zur Herrentoilette. Stattdessen haben wir dann die Vorhänge zugezogen und die Schutzbrillen aufgesetzt, die ich noch von der letzten Sonnenfinsternis übrig hatte. Wie sich der Widerstand organisiert, ist nach wie vor unklar, die üblichen sozialen Netzwerke wie Ebay oder Friendscout lasse ich aber selbstverständlich beobachten. Ich bin auch noch etwas ratlos, wie wir da weiter vorgehen. Sicherheitshalber habe ich mir aber schon mal den Prospekt mit den Wasserwerfern schicken lassen. Ich meine, man kann ja auch erst mal mit halber Kraft spritzen. Oder mit Bionade.

Bis bald, Ihre

Renate

Stefan Stuckmann

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