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Berlin: Gut abgehangen

Das Tommy-Weissbecker-Haus feiert seinen 30. Geburtstag. Noch immer werden hier Trebegänger aufgenommen

Otto ist eher scheu und versteckt sich lieber, wenn Fotos gemacht werden. Jemand von der Zeitung? „Schrecklich“, raunzt er. Aber wenn sein Haus, das Tommy-Weissbecker-Haus, 30. Geburtstag feiert, geht das nicht ohne Otto, den Hausmeister. Er ist die Seele vons Janze: etwas schlurfig, dickfellig, nonkonformistisch, aber auch sehr anhänglich, gutmütig und „unheimlich lieb“. Sagt zumindest Ute, die im Büro gerade an der Buchhalterei verzweifelt. Damit sie wieder lacht, schenkt Otto ihr immer wieder mal einen Holzelefanten, den er auf seinen Streifzügen durch die Trödelmärkte aufspürt.

Das Weissbecker-Haus in der Wilhelmstraße ist eines dieser stolzen Monumente aus studentenbewegter Zeit. 1973 gab der Senat das leerstehende Gebäude an eine Gruppe von Trebegängern, die eine Alternative zum Leben in geschlossenen Jugendheimen suchten. Mit einer Hausbesetzung hatten die Jugendlichen zuvor Druck ausgeübt. Die CDU protestierte gegen das Projekt. Die Polizei machte Hausdurchsuchungen. Schließlich war der Namensgeber Thomas Weissbecker ein linker Aktivist, der dem Umfeld der RAF zugerechnet wurde. 1972 wurde er in Augsburg erschossen. Sein Sterbedatum ist auf einen Rolladen gesprüht.

Im Haus geht es heute mehr um „Soziales“, sagt Tille, der seit fünf Jahren dabei ist. Wobei das auch Politik sei, in Zeiten des allgemeinen Sozialabbaus. Der Trägerverein SSB (Sozialpädagogische Sondermaßnahmen) muss selbst mit sinkender Förderung auskommen. 2007 läuft zudem der Erbpachtvertrag mit dem Land Berlin aus.

Vier Zimmer im Haus werden als „Notaufnahme“ für Trebegänger freigehalten. Ansonsten leben hier rund 40 Leute, mit völlig unterschiedlichen Biografien. Einige kommen vom Jugendamt, viele über Mundpropaganda oder direkt von der Straße. Heimflüchtige sind selten geworden. Genaue Aufnahmekriterien gibt es nicht. Jeder zahlt ein „Nutzungsentgelt“ von 179 Euro und ist gehalten, sich an der Selbstverwaltung, am Küchen- und Putzdienst zu beteiligen. Früher funktionierte das von selbst, heute mangele es an Gemeinschaftsgefühl, kritisiert Otto.

Er wohnt am längsten hier. Mit 50 ist er auch einer der Ältesten im Haus. Muss wohl so 1976 gewesen sein, dass er vors Etagen-Plenum trat und um Aufnahme bat, weil er in seiner Männer-WG Stress hatte. Vorher war er zwölf Jahre im Heim, wegen Schuleschwänzen. „Ich wollte nicht lernen. Zu faul.“ Er kam ins „Lehrlingsfindungsheim“ und lernte „Wäscher und chemischer Reiniger“. Gern erzählt er das nicht. „Die Leute lachen immer, wenn sie das hören.“

Beim Hausmeistern redet ihm keiner rein – deshalb behielt Otto den Job über all die Jahre. Nach den Polizeirazzien war ja immer gut zu tun. Und Otto, den sie auch King Kong nennen, packte mit an, wenn es zu einem Handgemenge mit der Staatsmacht kam. Niemals zettelte er selbst eine Prügelei an, das widerspräche völlig seinem sanften, geduldigen Naturell. Aber wenn alle Hand anlegten, machte Otto eben auch mit. „Das ist gut fürs seelische Gleichgewicht. Man kann ja nicht immer nur reden.“ Dabei redet Otto eigentlich nicht sehr viel.

An den politischen Diskussionen im Haus beteiligt er sich nur marginal. Lieber geht er auf Trödelsuche oder Schaufensterbummeln. Früher, erzählt er, gab es in der Nähe einen Eisenbahn-Laden, wo man am Fenster per Knopfdruck die ausgestellte Modellbahn zum Laufen bringen konnte. Davor verbrachte er manchmal ganze Nachmittage. Der Laden hat dann leider dichtgemacht.

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