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Berlin: Haase löst Auseinandersetzung über NS-Opfer und die Täter aus

SPD, Grüne und PDS verurteilen Erklärung des Parlamentspräsidenten zum Holocaut-Gedenktag Berlin (-pen).Der Berliner Parlamentspräsident Herwig Haase (CDU) hat mit seiner Erklärung zum Gedenktag an die Opfer des Nationalsozialismus eine heftige Kontroverse ausgelöst.

SPD, Grüne und PDS verurteilen Erklärung des Parlamentspräsidenten zum Holocaut-Gedenktag Berlin (-pen).Der Berliner Parlamentspräsident Herwig Haase (CDU) hat mit seiner Erklärung zum Gedenktag an die Opfer des Nationalsozialismus eine heftige Kontroverse ausgelöst.Haase will an diesem Tag, der Befreiung von Auschwitz, an "alle Opfer" erinnern, auch an Opfer, "die zuvor Täter waren oder später zu Tätern wurden".Die Grünen erklärten gestern, der Präsident habe dem Abgeordnetenhaus "schweren Schaden zugefügt" und forderten die Rücknahme seiner Erklärung.Die SPD zeigte sich "ziemlich fassungslos" über Haase.Ignatz Bubis, Vorsitzender des Zentralrats der Juden in Deutschland, sagte gegenüber dem Tagesspiegel:"Ich möchte der Mörder meines Vaters, die vielleicht zum Bombenopfer geworden sind, nicht an diesem Tag gedenken". Bubis betonte, er unterscheide sehr wohl noch zwischen Opfern des Nationalsozialismus und Tätern, die später selber zu Opfern wurden: "Sie haben sich selbst zuzuschreiben, daß sie Opfer wurden, sie wären es nicht geworden, wenn sie vorher nicht Täter geworden wären." An diesem Tag sei zwar nicht nur der Juden zu gedenken, sondern aller Opfer des Nationalsozialismus, sagte Bubis weiter, aber eben nur dieser.Für die anderen Toten und Leidenden gebe es den Volkstrauertag.Wenn Vertriebene sich beispielsweise als Opfer der Nazis sähen, hätte er, Bubis, keine Probleme damit, "aber die wollen sich meistens nicht so sehen.Da sollte es keine Vermischung geben." Die grüne Fraktionsvorsitzende Sibyll Klotz warf Haase vor, Täter und Opfer zu vermischen, er "beleidigt die Überlebenden des Holocaust." Mit dem Aufruf, an die "Gesamtheit der Leidenserfahrungen in einem totalitären Herrschaftssystem" zu erinnern, zeige der Parlamentspräsident fehlendes Geschichtsverständnis. Bei der SPD zeigte sich Fraktionssprecher Stadtmüller ziemlich fassungslos, daß der Parlamentspräsident "so wenig historisches Feingefühl besitzt." Die PDS-Fraktionsvorsitzende Carola Freundl erklärte, ein Gedenken, das die Schuldfrage ausklammere, "verhöhnt die Opfer des Nationalsozialismus". SPD und Grüne wollen den Fall heute im Ältestenrat des Parlaments erörtern - "über weitere Konsequenzen wird noch zu beraten sein", hieß es bei den Grünen.Das ist eine versteckte Erinnerung an den ehemaligen Bundestagspräsidenten Philipp Jenninger, der wegen seiner mißverständlichen Gedenkrede zum 9.November 1938 zurückgetreten war.Jenninger hatte den "politischen Triumphzug Hitlers" als "Faszinosum" bezeichnet.CDU-Sprecher Markus Kauffmann sprach von einer mißverständlichen Formulierung Haases: "Wir kennen Herrn Haase als integren Menschen, der immer zwischen Tätern und Opfern zu unterscheiden wußte, " sagte Kauffmann.Haase selbst wollte sich nicht äußern.Sein Sprecher Jörg-Dietrich Nackmayr erklärte, es handele sich um ein Mißverstädnis, das Haasse heute im Ältestenrat klarstellen werde. Den Satz von den Opfern und Tätern werde er "eventuell zurückziehen".Haase habe beispielsweise an Leute wie die Offiziere des 20.Juli gedacht oder an Opfer, die später "als Kommunisten" zu Tätern geworden seien. Voller Wortlaut der Erklärung des ParlamentspräsidentenAm Anfang des vergangenen Jahres hat Bundespräsident Roman Herzog den 27.Januar zum "Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialimus" erklärt.Symbolhaft für das Leiden und Sterben unter dem nationalsozialistischem Terrorsystem steht das Konzentrationslager Auschwitz, das vor 52 Jahren an diesem Tag, dem 27.Januar 1945, befreit wurde. Wir gedenken der sechs Millionen Juden, die im "Holocaust" von Deutschen ermordet worden sind.Darin aber darf sich unsere Gemeinsamkeit nicht erschöpfen.Dieser Tag gilt der Erinnerung an alle Opfer: Juden und Nichtjuden, Deutsche und Nichtdeutsche. Die Herausforderung des gemeinsamen Gedenkens besteht somit darin, alle individuellen Leidensgeschichten zu respektieren, die Vielfalt der Ursachen von Leid zu erkennen und ohne Ausgrenzung an alle Opfer zu erinnern.Es geht um die Gesamtheit der Leidenserfahrungen in einem totalitären Herrschaftssystem.Allein die gemeinsame Erinnerung an die gemeinsame Vergangenheit stiftet Gemeinsamkeit. Nur so kann es uns gelingen, eine Erinnerungskultur zu entwickeln.Die Vergegenwärtigung des Vergangenen berührt unser gesellschaftspolitisches Grundverständnis.In einer pluralistischen Gesellschaft kann keine allgemeinverbindliche Sicht der Vergangenheit verordnet werden. Dieser Tag soll uns umfassend an alle Opfer erinnern: Ermordete, politisch Verfolgte, aus rassenpolitischen Gründen Entrechtete, Deportierte, KZ-Häftlinge, politische Häftlinge, Flüchtlinge, Vertriebene, Opfer des Bombenkrieges, gefallene Soldaten, Kriegsgefangene - aber auch an Opfer, die zuvor Täter waren oder später zu Tätern wurden.Solange der Vorwurf der Relativierung und Verdrängung erhoben werden kann, solange eine falsche Betonung in einer Rede verhängnisvoll sein kann, haben wir ein angemessenes Gedenken noch nicht erreicht. Meine Sorge gilt weniger unserem Wissen um das individuelle Leid, sondern vielmehr der gemeinsamen emotionalen Wahrnehmung.Unsere Traur dient der Sicherung des Lebens, eines menschenwürdigen Lebens.Deshalb ist dieser 27.Januar ein wichtiger Tag unseres Willens zur Erinnerung.Denn nur, wenn wir miteinander trauern, können wir gemeinsam gedenken.

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