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Berlin: „Haben uns auf die Patientin verlassen“

Klinik-Chef äußert sich erstmals zum Fall der 66-jährigen Frau, die hilflos in ihrer Wohnung starb

Wer ist verantwortlich für den Tod der in ihrer Wohnung allein gelassenen, schwer kranken Rentnerin Ingrid K.? Am gestrigen Sonnabend äußerte sich erstmals der Ärztliche Direktor des Jüdischen Krankenhauses, Uri Schachtel, zu dem tragischen Vorfall. „Wir haben uns auf die Aussage der Patientin verlassen“, sagte Schachtel dem Tagesspiegel. „Sie hat uns gesagt, dass die Schwester sie in der Wohnung erwarte“ – und das interpretierte man in der Klinik als Krankenschwester. Schachtel betonte, dass „die Selbstbestimmung des Patienten über alles geht“. Man habe nicht das Recht, gegen den Willen eines Kranken etwas zu organisieren. Ausnahme seien Demenzkranke, Kinder und Bewusstlose.

Die an Multipler Sklerose erkrankte Frau sei zum sechsten Mal in der Weddinger Klinik gewesen, jeweils für etwa eine Woche, „wir kannten sie also gut“. Die 66-Jährige sei zwar hochgradig pflegebedürftig gewesen, geistig aber hellwach.

Auch die Fahrer des privaten Krankentransportes, die die Frau am 7. Juli nach ihrer Entlassung aus der Klinik in ihre Köpenicker Wohnung brachten, weisen jede Schuld von sich. Die Patientin habe ihnen gesagt, dass sie erwartet werde, sagte Frank Nowack, Chef des privaten Krankentransportunternehmens Hinz. Um so verwunderter seien seine Angestellten gewesen, als dann doch keiner die Wohnungstür öffnete. „Es ist alles in Ordnung, die Schwester kommt ja gleich“, habe die Frau auf Nachfrage geantwortet. Da die Schwerkranke ihre Schlüssel in der Handtasche hatte, öffneten die Angestellten des Krankentransports die Tür. Dort habe man sie auf eigenen Wunsch von der Transportbahre in ihren Rollstuhl gehoben und diesen an den Wohnzimmertisch geschoben, auf dem das Telefon gestanden habe. „Wir haben sie dort sitzen lassen und sind gegangen“, sagte Nowack.

Wie berichtet, war die 66-Jährige am Mittwochmittag – eine Woche nach der Klinikentlassung – tot von ihrer Tochter gefunden worden, nach Polizeiangaben mit dem Telefonhörer in der Hand.

Einen Notrufpieper hätten seine Leute nicht in der Wohnung gesehen, sagte Krankentransport-Unternehmer Nowack, und die Frau habe auch nicht danach verlangt. „Wir wussten nicht, dass Sie so ein Gerät hat.“ Nowacks in Wedding beheimatete Firma arbeitet seit langem mit dem Jüdischen Krankenhaus zusammen, es gebe einen entsprechenden Vertrag, sagte Klinikchef Schachte.

Nun ermittelt die Staatsanwaltschaft gegen den für die Entlassung verantwortlichen Arzt. „Wir haben ein Verfahren wegen des Verdachts der fahrlässigen Tötung eingeleitet“, sagte Justizsprecher Frank Thiel. Vor weiteren Ermittlungen solle jetzt erst einmal das Ergebnis der Obduktion abgewartet werden. Möglicherweise sei die Frau eines plötzlichen natürlichen Todes gestorben und nicht qualvoll verdurstet.

Nach seiner Ansicht „konnte die Frau telefonieren“, betonte gestern der Ärztliche Direktor Schachtel. Wieso die Frau die absolute Gewissheit hatte, dass ihr Pflegedienst von ihrer Rückkehr nach Köpenick benachrichtigt sei, konnte Schachtel nicht sagen. Der Pflegedienst hatte die Schwerkranke vor ihrer Einweisung ins Krankenhaus vier Mal pro Tag besucht, unter anderem, um ihr wichtige Medikamente zu verabreichen. Die Klinik hatte, wie berichtet, dort nicht angerufen, und am Krankenbett selbst hatte die Frau kein eigenes Telefon besessen. Als sie in dieser Woche das einzige Mal Besuch eines Verwandten bekam, habe der Entlassungstermin noch nicht festgestanden, sagte Schachtel.

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