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Welle gemacht. Viele Ausflugsfahrten auf maritimen Oldtimern starten am Wochenende.

© Thilo Rückeis

Hafengeburtstag in der einstigen Hansestadt: Berlin ist nah am Wasser gebaut

Fast schon vergessen: Berlin war auch mal eine wichtige Hafenstadt. Das wird an diesem Wochenende gefeiert.

HB steht für Hansestadt Bremen, könnte aber auch Hansestadt Berlin heißen, hätte sich der Senat nur rechtzeitig um das Kennzeichen gekümmert. „Hanseat“ heißt einer der Lastkähne am Historischen Hafen, der eine Gründung der Nachwendezeit ist, also recht modern. „Hafenfest“ feiern sie an diesem Wochenende am Märkischen Ufer, den 719. Hafengeburtstag Berlins. Max Raabes süßliche Näselstimme streicht übers Wasser, anschließend singt der „Schiffahrtschor Berlin“ – zwei Drittel Damen, dazu ein paar Seemannskehlen – Das kann doch einen Seemann nicht erschüttern...

Das Berliner Hafengeburtstagsfest ist reinste Nostalgie, ein touristisches Angebot mit beschränkter Reichweite. Von der Fischerinsel kommen ältere Herrschaften, ein paar Familien wollen Dampferfahrten machen, es gibt Stände mit Fischbrötchen, Bier, badischem Wein und Biokost. Die Berlin-Brandenburgische Schifffahrtsgesellschaft e.V. verkauft selbstgebackenen Kuchen – der Erlös wird in die betagten Lastkähne und Barkassen investiert. Der Verein Flussbad Berlin wirbt für sein Projekt, außerdem gibt es eine Vorführung zum Trendsport Stehpaddel-Yoga.

In Berlin gab es viele Häfen und Verladestellen

Der Senat interessiert sich nicht fürs Hafenfest und den 719. Hafengeburtstag, auch wenn angeblich der Regierende Bürgermeister Michael Müller die Schirmherrschaft übernommen hat. Dass Berlin mal zum Hansebund gehörte, der mächtigen Vereinigung von 187 Hafenstädten zwischen London und Nowgorod, weiß kaum noch ein Schulkind. Dass die Stadt mehr als ein Dutzend größere Häfen hatte plus unzählige Verladestellen für die Mauersteine aus den Brandenburger Ziegeleien, weiß allenfalls Alfred Wunsch, der selbst noch Backsteine auf die Kähne lud, nach dem Zweiten Weltkrieg in Zehdenick, drei Tage dauerte es, bis ein Schubverband beladen war. Auf der Rückfahrt nahmen sie den Kriegsschutt mit und verfüllten damit die alten Tongruben, erzählt der drahtige Köpenicker – im November feiert er seinen 88. Geburtstag.

Kein Seemannsgarn. Alfred Wunsch transportierte einst Ziegelsteine für den Wiederaufbau von Berlin. Foto: Thomas Loy
Kein Seemannsgarn. Alfred Wunsch transportierte einst Ziegelsteine für den Wiederaufbau von Berlin. Foto: Thomas Loy

© Thomas Loy

Wunsch manövriert gelegentlich sein Schiffchen Gisela, die mal eine Fähre am Müggelsee war, über die Gewässer und erzählt Schauergeschichten aus dem Krieg, als er Schiffsjunge war und eine Ladung Flaschen aus Stralau nach Holland beförderte. Auf der Rückfahrt, im Mittellandkanal, wurden sie von amerikanischen Tieffliegern beschossen, holten sich zum Schutz Strohballen auf Deck und später eine Kuh, damit sie an frische Milch kamen.

Bis 1928 stieg der Warenumschlag auf dem Wasser

Wunsch hat Berlin noch als „zentrale Hafenstadt“ erlebt, verbunden mit Stettin, Frankfurt (Oder), Hamburg und den Rhein-Metropolen. Als an der Mühlendammschleuse in Reih’ und Glied die Schlepper unter Dampf standen und die Finowmaßkähne vertäut lagen, nicht längs zum Ufer wie heute, sondern quer, weil es so viele waren. Neben Ziegelsteinen, Sand und Kies wurden vor allem Getreide und Brennstoffe transportiert. Bis 1928 stieg der Umschlag auf den Wasserwegen Berlins auf elf Millionen Tonnen. Ost- und Westhafen waren erst 1913/14 angelegt worden, weil sich die Preußische Staatsbahn lange erfolgreich gegen große Häfen gewehrt hatte. Durch den Nordosten der Stadt planten Ingenieure in den 20er Jahren einen „Nordkanal“ als Pendant zum Teltowkanal, über 31 Kilometer vom Tegeler See über Pankow, Weißensee und Lichtenberg bis nach Köpenick, doch das Projekt vermoderte in den Schubladen.

Der Osthafen verlor mit der Wiedervereinigung der Stadt seine Existenzberechtigung. Inzwischen erinnert nur noch der Name an die ehemalige Nutzung, so ist es auch Humboldthafen, Tempelhofer Hafen, Nordhafen und Urbanhafen ergangen. Der Luisenstädtische Kanal ist bis auf das Engelbecken zugeschüttet. Rein wirtschaftlich betrachtet, könnte man heute auch gut auf Landwehrkanal und Teltowkanal verzichten. Mit der Umstellung von Kohlefeuerung auf Gas und erneuerbare Energien nimmt die Bedeutung der Binnenschifffahrt weiter ab.

Viele Existenzen hängen am Wasser

Gegenwärtig sind nur noch drei Häfen in Betrieb: Südhafen Spandau, Westhafen und Neuköllner Hafen. Im Westhafen, dem größten Berliner Hafen und, laut Eigenwerbung, einem „der größten Binnenhäfen in Deutschland“, werden jährlich rund vier Millionen Tonnen Güter umgeschlagen, allerdings kommt nur noch wenig davon mit dem Schiff an. Vor allem bei Containern sind die Versuche, Schiffsverbindungen zu den Seehäfen einzurichten gescheitert. Die Bahn macht es günstiger und schneller.

In Berlin machen nur noch die Flughäfen Furore, die Häfen sind Vergangenheit, die Wasserwege und Hafenbecken aber Teil der Freizeit- und Genusskultur, auf der ein Gutteil des vielbesungenen Berlin-Hyps basiert. Strandbarbetreiber, Restaurantschiffer, Hotelkapitäne, Club-mit-Wasserblick-Gründer, Partyflößer, Salonschiffer, Ausflugsdampfergesellschaften, Makler für Luxuswohnungen mit Anleger, Hausbootbewohner, Tretbootverleiher – am Wasser hängen selbst in einer Landstadt wie Berlin unzählige Existenzen. Da kann mal schon mal auf den Hafengeburtstag anstoßen.

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