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Berlin: Hajo Lange, geb. 1935

Als die Blätter sich färbten, kamen die Tränen. Der Sommer war heiß gewesen, heißer als in den Jahren zuvor, und am Ende sagte sein Boss zu ihm: "Hajo.

Als die Blätter sich färbten, kamen die Tränen. Der Sommer war heiß gewesen, heißer als in den Jahren zuvor, und am Ende sagte sein Boss zu ihm: "Hajo. Sieh zu, dass du dich mit der E-Gitarre anfreundest."

Auf der Straße rannten die Teenager rum, ihr Lachen drang herauf, und ihre Musik: Help, I need somebody, help. In der angenehmen Wohnung, die er sich jetzt leisten konnte, saß Hans-Joachim Lange, den alle Hajo nannten, der ein Frauentyp war und den Kontrabass zum Singen brachte wie keiner, und quälte sich.

Er sollte seinen Bass aufgeben, sollte Schlager spielen. Schlager statt Jazz. Das war in den sechziger Jahren, die Leute wollten einen neuen Sound, und eine andere Musik. Lange war 30 und Bassist in einer der beliebtesten Musikertruppen Deutschlands, war weit gekommen, und war doch eigentlich jemand anderes.

Geboren 1935 in Prenzlauer Berg, Kind gewesen im Krieg. Das Nötigste gelernt, die Schule verlassen mit 15. Eine Flucht in die Welt der Klänge, Hochschule für Musik, Fasanenstraße 1. In seiner Hand: ein Waldhorn. Alles lacht. Hajo hadert mit sich, probiert Trompete, dann Kontrabass. Das Gefühl, richtig zu sein. Fünf Freunde vom Prenzlauer Berg gründen eine Band, nennen sie Michael Naura Quintett. Sie ziehen durch Clubs, die "Badewanne" heißen, "Studio 22" und "Eierschale". Die Besetzung der Truppe ist ungewöhnlich: Ein Vibrafonist ist dabei, ein Altsaxofon, Schlagzeug und Klavier, Hajo spielt den Bass. Klingt ein bisschen nach Modern Jazz Quartett oder Horace Silver, vor allem: sehr eigen. Jazz-Freunde sagen: Bei den Jungs geht es gut los. Irgendwann kommt ein Angebot aus Westdeutschland. Das "Barett" ist ein bekannter Laden in Hamburg, dort sollen die Fünf auftreten.

Das Publikum tobt. Und bei "Bild" herrscht große Freude über die "jungen Talente aus dem Osten", die endlich da sind, wo sie hingehören. Schon rufen Clubs aus ganz Westdeutschland an. Spätestens jetzt ist klar: Keiner wird zurück gehen nach Ost-Berlin. Eine sechsjährige Achterbahnfahrt durch die wildesten, die exklusivsten Jazzclubs Deutschlands beginnt. Eingeweihte reden vom Michael Naura Quintett als dem hierzulande führenden im Modern Jazz. Man spielt jeden Monat woanders, ist ständig in Bewegung.

Lange kann nicht wie andere immerzu brennen. Er hat was von einem Einzelgänger, muss stundenlang durch die Städte streifen. Zur Besinnung kommen in dem, was er "alt" nennt, und "echt": Einem Hafen, mit seinen Fischern und Netzen, den feuchten Hinterhöfen und den Häusern, an denen man die Zeit sieht. Viel Wert legt er auf die Zimmer, in denen er wohnt. In Hamburg hat er ein wunderbares, mit Parkett und Sofa, Stehlampe, Büchern, Bildern, in das er immer wieder zieht und im Monat 400 Mark dafür zahlt. Eine horrende Summe für ein Zimmer - mehr als die Häfte dessen, was er im Monat verdient. Aber Lange will nicht in den dunklen, mit Stuhl und Bett möblierten Kemenaten wohnen, die die Wirtsleutejener Zeit für die Musiker bereithalten.

Sehr fein wie seine Unterkunft ist auch die Musik, die er macht. Unglaublich für sein Alter, wie melodiös er swingt, wie er einzelne Töne nur antippt, andere ruhen und stehen lässt und zwischendurch die Saiten dehnt. Zweifellos ein großes Talent, mit Gespür für Melodie, Harmonie und Dynamik, Klangfarben und Rhythmus. Nur eine Frage der Zeit also, bis jemand kommen muss, der das bieten kann, was Lange noch nicht hat: Eine Festanstellung, ein regelmäßiges, ein großzügiges Einkommen, eine Perspektive für ihn und Ingrid, die er nach einem seiner Konzerte kennen gelernt hat. Der Mann, der kommt, ist Werner Müller, Chef des Rias-Tanzorchesters Berlin.

Klar ist, dass von nun an Populärmusik gemacht wird, populärer Jazz. Dass der auf dem Spielplan bald vom Schlager verdrängt wird, weiß Müller noch nicht, oder er verschweigt es dem jungen Musiker.

Die nächsten Jahrzehnte jedenfalls steht Lange in der Deutschlandhalle und im Sportpalast, zusammen mit Rex Gildo, Gitte, Ralf Bendix, Engelbert, Hildegard Knef und Vicky Leandros. Sein E-Bass brummt bei Juhnkes "Musik ist Trumpf", bei Rosenthals "Dalli Dalli" und bei "Musik liegt in der Luft" mit Moderator Dieter-Thomas Heck. Sein neues Instrument, das dem alten im Namen ähnelt, bedarf nicht eines so gefühlvollen Anschlags wie der akustische Bass; mehr der routinierten Bedienung vieler Knöpfchen und Schalter. Auch das sind Aufgaben, und Lange ist einer, der Aufgaben perfekt erfüllt, der professionell sein will, dem kein Kollege etwas anmerkt, und von dem allein Ingrid Lange heute mit schwankender Stimme sagt, dass "er sehr, sehr lange brauchte, bis er sich damit abgefunden hat".

Erst spät kann Lange den Kontrabass, das Instrument seines Lebens, das Instrument seiner Jugend, wieder in die Hand nehmen, und Jazz spielen mit dem Orchester, das nun Rias-Big-Band heißt. Er ist bereits gezeichnet vom Defekt seiner Nieren. Trotzdem dreht der 60-Jährige jetzt richtig auf, versucht rauszuholen, was noch in ihm steckt. Bekannte wundern sich - "wie siehst du denn aus" - wenn der Künstler ausgepumpt, klitschnass von der Bühne steigt. Ganz zuletzt setzt Lange sich in den Kopf, noch einmal mit den Leuten zu spielen, mit denen er einst zum Besten gezählt hat, was es gab beim Jazz in Deutschland. Das war sein großer Wunsch, er ging nicht mehr in Erfüllung.

"Wir hatten uns musikalisch auseinander gelebt", sagt eines der ehemaligen Bandmitglieder vorsichtig.

Rico Czerwinski

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