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Berlin: Hallo, Mr. Lottchen!

Jefferson Mays spielte im Gründerzeitmuseum das US-Erfolgsstück über Charlotte von Mahlsdorf

Jetzt müsste man ihm noch den Staubwedel in die Hand drücken – Jefferson Mays wäre das perfekte Dienstmädchen. Mit einem verlorenen Lächeln schaut der US-Schauspieler im Salon zum Lüster, dann streichelt er eine Kommode und geht mit mädchenhaften Bewegungen zur Standuhr, die so laut tickt, als wolle sie den Lauf der Gründerzeit für alle Ewigkeit bewahren. Noch hat Mays kein Frauenkleid an und keine Schürze umgebunden. Er ist gerade erst im Gründerzeitmuseum der Charlotte von Mahlsdorf angekommen. Erstmals in seinem Leben betritt er das einstige Gutshaus und bewegt sich dennoch zielsicher. Selbst mit geschlossenen Augen würde er nirgendwo anecken. „Das ist hier mein Zuhause“, sagt er, „ein Zuhause, in dem ich noch nie war.“

Doch Jefferson Mays bringt seit knapp drei Jahren das Leben der schwulen Ikone Charlotte von Mahlsdorf auf die Bühne. Gut 800 Mal hat er das Erfolgsstück des New Yorker Autors Doug Wright „I am my own wife“ (Ich bin meine eigene Frau) in US-Städten und London aufgeführt. Zuvor hatte er die Wirkungsstätte des Originals genauestens studiert. Filme, Fotos und Erzählungen halfen ihm dabei. Am Donnerstagabend spielte er nun ein erstes und vorerst einziges Mal in Berlin. „Natürlich im Gutshaus“ zu Ehren Charlottes, die im April 2002 mit 74 Jahren starb. Auch Doug Wright ist zu dieser Show vor geladenen Gästen mitgekommen.

Sein Stück trägt den Titel von Charlottes Autobiografie. Es schildert das Schicksal des bekannten Transvestiten, der erst die Nazizeit und später die DDR trotz aller Schikanen als Mann in Frauenkleidern überstand. Zugleich bewahrte Charlotte das Gutshaus Mahlsdorf im gleichnamigen Berliner Ortsteil vor dem Abriss, schuf dort als große alte Dame der Lesben, Schwulen und Transvestiten einen legendären Szenetreff und richtete ihr Museum ein: Deutschlands größte Gründerzeitsammlung. Bei alledem wollte sie mit einem Knicks eigentlich nie mehr als ein Dienstmädchen sein.

Eine Überlebenskünstlerin also, eine jener exzentrischen Persönlichkeiten, die man in Amerika gerne als „surviver“ feiert. Stückeschreiber Wright ließ sich von Charlotte 1992 ihr Leben erzählen, dann fragte er sie : „Darf ich Ihre Story ins Theater bringen?“ Es dauerte noch Jahre, bis sein Werk fertig war, auch Rosa von Praunheims 1992 gedrehter Film über die Mahlsdorf mit demselben Titel „Ich bin meine eigene Frau“ half ihm dabei.

Im Sommer 2003 war im Off-Theater „Playwrights Horizons“ am Broadway die umjubelte Premiere mit nur einem Star auf der Bühne: Jefferson Mays. Er spielt in dem Solostück neben Charlotte noch 32 weitere Menschen, die in ihrem Leben eine wichtige Rolle hatten. Schon bald erhielt das Stück den Pulitzer-Preis und Mays wurde mit dem Schauspieler-Preis „Tony -Award“ ausgezeichnet.

2006 geht er nun als Charlotte in Australien auf Tournee. „Hallo, Mr. Lottchen“ werden ihn die Leute wieder begrüßen. Und wann kommt das Stück für längere Zeit nach Berlin? Interessiert ist das Schlosspark-Theater. Allerdings will man dort eher ein neues Stück von einem deutschen Autor erarbeiten lassen. US-Autor Wright würde dies schmerzen. Doch bitterer war für ihn, dass Charlotte die New Yorker Premiere nicht mehr erlebt hat. Sie wollte per Dampfer kommen. „Vor dem Fliegen fürchtete sie sich.“

Das Museum, Hultschiner Damm 333, ist Mi. u. So. , 10-18 Uhr, geöffnet. Im Salon und der Zille-Kneipe „Mulackritze“ finden Konzerte und Theater statt. Tel.: 5678329, www.gruenderzeitmuseum.de.

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