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Berlin: Hans-Gerd Staschewski (Geb. 1955)

Natürlich gab es längst den nächsten Plan

Nur Träumer werden die Sterne erreichen – daran glaubte er fest. Was ihn von vielen anderen Träumern unterschied, war die unendliche Energie, mit der er seine Träume in die Tat umsetzte. Und Träume gab es viele.

Aufgewachsen war er auf dem niedersächsischen Land bei seinen Großeltern; die Mutter musste Geld verdienen und besuchte ihn nur am Wochenende. Als er schließlich zu ihr zog, musste er oft auf den jüngeren Halbbruder aufpassen, den Telefondienst für das Taxiunternehmen seines Stiefvaters übernehmen und für die Familie kochen.

Das tat er so gut, dass er Koch werden wollte. Er entschied sich dann aber doch für eine Lehre zum Hotelkaufmann. Das brachte ihm zweierlei ein: ein Händchen fürs Geschäftliche und seine Frau Hannelore, die im selben Hotel lernte wie er. Bis zu seinem Tod blieben die beiden zusammen, beinahe 40 Jahre.

Dem Hotelwesen blieb Hans nicht lange treu. Er gründete die Firma „Projekte und Ausstellungen“, gestaltete eine Ausstellung russischer Plakatkünstler, koordinierte ein Geschichtsprojekt zur Bücherverbrennung der Nazis und organisierte Partys für Jugendliche. Dann spezialisierte er sich auf Multimedia-Dienstleistungen, seine Hauptkunden waren Blues-Musiker. Oft sah man ihn in sich versunken; dann plante er wieder etwas. Schnellschüsse waren nicht seine Art.

Nebenbei gab er Kochkurse an der Volkshochschule in Sulingen, einer Kleinstadt zwischen Bremen und Hannover, wo er mit Hannelore und Sohn Till inzwischen lebte. Beim „Kochen für Freunde“ etwa bereiteten Menschen, die sich vorher nicht kannten, unter Hans’ Anleitung ein mehrgängiges Menü. Jeder lud zwei Freunde ein, und schließlich saßen 30 Leute um die große Tafel.

Vor zehn Jahren wieder etwas Neues. Hans wandte sich ganz dem Thema Ernährung zu. Er ertrug es kaum, dass die Industrie den Menschen Essen vorsetzt, dessen Herkunft nicht mehr nachvollziehbar ist. Er wollte es besser machen, zunächst bei der Wurst. Bis er aber seine Leberwurst mit Äpfeln und Zwiebeln oder die Krakauer mit Bärlauch verkaufen konnte, stellte er die Geduld seiner Frau auf die Probe. Die Familie aß sehr viel mittelmäßige Testwurst. Auch Hunde und Katzen der Nachbarschaft bekamen reichlich davon. Bis ein Biofleischer Hans in die Geheimnisse der Wurstherstellung einwies. Gemeinsam erdachten sie 15 Rezepte, die er in einer Lizenzküche produzieren ließ. Seine neue Firma hieß „Regional + Gut“.

Bald stellte er auch Chutneys und Soßen her. Die Zutaten kaufte er wenn möglich bei kleinen Landwirtschaftsbetrieben aus der Umgebung. Die „Dessertsoße von Blutorange und Banane“ stellte Hans zu Ehren seiner Großmutter her. Wenn er krank war, hatte sie ihm die „schöne Suppe“ gemacht: zerdrückte Banane mit frisch gepresstem Orangensaft. Seine Feinkost verkaufte er vor allem auf Märkten; hier war er auch oft mit mobiler Küche anzutreffen: ein Zelt zum Kochen, ein zweites zum Bewirten.

2010 kamen Hans und Hannelore nach Berlin, weil sie hier Arbeit gefunden hatte. Hans wurde Wirt der „Zunftwirtschaft“. Das Restaurant in der Moabiter Zunfthalle hatte lange leer gestanden. Dass ein Veranstaltungssaal dazu gehört, war ein Glücksfall. Hier organisierte er Lesungen, Musik oder Kino für Senioren. Und servierte nebenan seinen „Märkischen Tapas-Teller“. Die Wände des Lokals zierten Bilder von Moabiter Künstlern und Kunstsammlern, die er überzeugt hatte, hier auszustellen.

Natürlich gab es längst den nächsten Plan: Hans wollte einen Märkischen Hofladen in der Markthalle eröffnen. Er besuchte Anbieter in Brandenburg und sah sich genau an, wie sie ihre Waren produzierten. Auf dem Rückweg von einer Senfmanufaktur verunglückte er mit dem Auto. Dass er zu Lebzeiten seine Sterne erreicht hat, spendet ein wenig Trost. Sein Beruf war sein Leben, Freizeit und Arbeit eins. Das hat ihn glücklich gemacht. Candida Splett

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