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Berlin: Hans Gross (Geb. 1933)

Wie radikal er war, merkte man oft erst, wenn er ging

Von seinen vielen Reisen hatte er nur wenige Bilder in der Schublade, die wesentlichen Erinnerungen behielt er im Kopf und im Herzen. Man musste ihn nur antippen und er breitete seine Geschichten und Anekdoten gerne aus. Den Globus hat er mehrfach umrundet, vor allem zur See.

Hans kam aus Köln, den Dialekt hat er behalten und in die Welt hinausgetragen. Alle Sprachen, die er sich in seinen Wanderjahren aneignete, färbte er damit ein: Englisch, Schwedisch, Italienisch. Selbst das Latinum hatte er in diesem Sound absolviert.

Hans’ Wanderleben begann gleich nach dem Krieg, in dem sein Kölner Elternhaus zerbombt worden war. Er machte eine Schlosserlehre und nahm sein Schicksal in die Hand. Ein erster Auslandsjob führte ihn in die Schweiz, dann baute er Gasöfen in Italien. Schließlich fuhr Hans nach Hamburg und heuerte auf einem Bananendampfer an, der „MS Hornbay“. Die erste Tour führte ihn über den Atlantik nach Curaçao. Wenn er auf den Fahrten genug Geld hatte, ging er an Land, sammelte Stempel in seinem Pass und Eindrücke, die schon wenige Jahre später nicht mehr zu bekommen waren.

Seine erste große Tramptour ging 1957 auf abenteuerlichen Pfaden bis nach Indien. Lange bevor die Hippies die Route entdeckten, hatte Hans die Gegend erkundet. Stundenlang konnte er davon erzählen. Kein großer Hafen, den er nicht kannte und mit einer Geschichte verband.

Aber Hans hielt Abstand, das zeichnete ihn aus. Er näherte sich den Menschen mit Respekt. Und gerade seine Zurückhaltung öffnete ihm Türen, die anderen verschlossen blieben. Hans drang nicht ein, er wurde hereingebeten.

1961 lernte er die Schwedin Annika kennen. Gemeinsam bereisten sie die Welt. Spektakulär war die Umrundung des Mittelmeeres auf dem Moped im Jahr 1964. Zusammen heuerten sie auf Schiffen an, allerdings nur auf skandinavischen, denn anderswo waren Frauen in der „christlichen Seefahrt“ noch nicht geduldet.

Hans war Maschinenschlosser, ein stolzer Arbeiter. Als die Studenten Ende der Sechziger ihre Liebe zur Arbeiterschaft entdeckten, sahen manche in ihm eine Projektionsfläche ihrer Theorien. Er bewegte sich souverän in der Studentenszene, hielt aber immer Abstand. Er taugte nicht als Vorzeigeobjekt.

Als er nach einer langen Asienreise Anfang der Siebziger nach Berlin kam, fand er schnell einen guten Job – und kündigte ihn nach wenigen Monaten, weil man einen Kollegen schlecht behandelte. Wo er Unfreiheit spürte, zog er sich zurück. Wie kompromisslos er war, wie radikal, merkte man oft erst, wenn er ging.

Anfang der Achtziger nahm er eine Hauswartsstelle an und teilte sein Leben bald mit Gisinda. Ihre Leidenschaft für die Amischen, Herrnhuter, Hutterer und andere Gemeinschaften der historischen Friedenskirchen teilte er bald. Gemeinsam bereisten sie die USA und Kanada, um diese Lebensformen zu studieren.

Die letzten zehn Berufsjahre war Hans Haus- und Kirchwart einer evangelischen Gemeinde. Wenn er in die Gemeinde-Kita kam, umschwärmten ihn die Kinder, und wenn er anfing zu erzählen, dann war das besser als jeder Film.

Wenn von den Großen dieser Welt die Rede war, verwies Hans darauf, dass man nicht nur Goethes Bett in Weimar besichtigen kann. Auch Hans’ Koje gibt es noch: Man findet sie in Bremerhaven auf dem Ausstellungsdampfer „MS Seefalke“. 1969 war er an Bord, als der Hochseeschlepper von seiner letzten Fahrt heimkehrte und im Schifffahrtsmuseum festmachte. Hans Gross hat seinen letzten Ankerplatz auf dem Friedhof der Herrnhuter Brüdergemeine in Berlin-Neukölln gefunden.

Jörg Machel

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