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Berlin: Harry Potter mit Kamm und Schere

Der Star-Friseur Gerhard Meir und die Philosophieprofessorin Christine Eichel haben wieder zugeschlagen: Der zweite Society-Roman um einen netten Figaro im Kampf mit dem Bösen spielt in Berlin

Der arme Julian, also echt. Da könnte er so schön mit seiner großen Liebe Benedikt bei Kerzenlicht kuscheln und hehre Gedanken austauschen. Stattdessen lässt er sich, nur um nicht unhöflich zu sein, von dem alten Kokskopp Hermann Huber in den Russinnenpuff abschleppen. Und dann beginnt eine wilde Jagd, in deren Verlauf der tapfer-sensible Figaro Julian in seinem Münchner Salon (hier auch „Tuning-Bastelbude“ genannt) verhaftet wird, mit dem Helikopter nach Monaco flieht, im Jogging-Anzug zurück nach Berlin kommt, in einer finsteren Party-Location in „einem unwirtlichen Außenbezirk tief im Osten“ aufläuft, Prügel einsteckt und fast ermordet wird von einem seiner ältesten Freunde, sich kurz vor dem Ende auch noch mit schwarzer Perücke als Security-Mann verkleiden muss, damit brisante Sexszenen aus der Berliner Society möglichst skandalträchtig öffentlich gemacht werden. Und am Ende bringt er den Schurken zur Strecke. Oder?

„Erzähl mir alles“ ist der zweite gemeinsame Roman des Münchner Star-Friseurs Gerhard Meir und der Philosophieprofessorin Christine Eichel. Wir erinnern uns: Gerhard Meir wurde einst berühmt mit den punkigen Frisuren, die er Gloria von Thurn und Taxis verpasste. Sein Münchner Salon avancierte rasch zum Brennpunkt der Bussi-Society, bundesweit etablierte sich der Medien-Darling mit Kolumnen, unter anderem im Magazin der Süddeutschen Zeitung. Inzwischen pendelt der Figaro mit der supernetten Ausstrahlung zwischen seinen Salons in München, Berlin und Hamburg hin und her. In dem Erfolgsroman „Der Salon“ kam er als eine Art Harry Potter mit Kamm und Föhn daher, ein durch und durch liebenswerter Friseur, der sich mit den Mächten des Bösen, zum Beispiel der Klatschpresse, konfrontiert sieht und dabei fast umkommt. Im Folgeband spielt die Haupthandlung in Berlin, und die dunklen Mächte im High-Speed- Dolce-Vita agieren noch wilder und verwirrender. Als Kompensation für die finstere Berliner Kulisse wird in dieser Folge dafür eine sprachliche Mischung aus münchnerisch-englisch-schickimicki kultiviert, von charming bis lustig.

Da geht’s Mäuserl aufs Häuserl und dann – leider eben nicht heim. Sonst bliebe ja nur das prüde Preußen mit seinen unspektakulären Stehempfängen übrig. Neben Schampoo und Schampus ist für Julian aber Schlamassel angesagt – und das kräftig. „Erzähl mir alles“ mixt so eine halbseidene Drogenkultur mit barocken Lustspielen; da ist der Designer, der versucht, „drei ineinander verschlungene Männer gleichzeitig zu bespielen“, dabei aber noch Kraft zum Small Talk mit Julian hat. Ja, und dann zerrt Edelfeder Huber Edelschere Julian auf die Piste, weil sie morgen wieder in dem muffigen München sind und Berlin (in diesem Buch jedenfalls) so scharf ist, wie ein Sixpack Rasierklingen. Hans-Hermann Huber also, dessen durchgeknallte Ähnlichkeit mit einem Boulevard-Kolumnisten wohl doch gewollt ist, bringt den Society-Soap-Krimi ins Rollen. Berlin kommt rüber wie ein wild gewordenes Karussell, in dem die Handelnden einen sympathischen Zug gemeinsam haben: die Lust an abgedrehten Formulierungen. „Lieber einmal mit Schneewittchen als siebenmal mit den Zwergen“, klingt in der Christopher-Street-Day- Kapitale allerdings wie ein etwas müder Bekehrungsspruch für einen Homosexuellen, der seinen Partner so aufrichtig liebt, dass er ihm sogar eine Einladung beim US-Präsidenten verschafft. Der schöne Benedikt kann die wild gewordene Geschichte freilich auch nicht wirklich auf den Teppich ziehen. Also, Julian wird verhaftet, dahinter steckt natürlich Hermann, der dem „grenzdebilen Talk vom Holz vor der Hütte“ böse Taten folgen ließ, die der arme Julian nun ausbaden soll. Eine amerikanische Filmdiva tröstet ihn beim Shopping, aber immer wieder muss er fliehen, zum Beispiel auf der Hochzeit von Ex-Lover Bobo mit der Society-Nudel Cora, die zwischen Zahnbleich- und Tätowierungsstudio ihr gutes Herz konserviert. Um Hermann Huber endgültig das Handwerk zu legen, schickt er seine große Liebe Benedikt in die Politik. Erstmal muss der aber bei einem Motivationsguru die richtige Politiker-Einstellung lernen, die sagt: „Ich will nicht nur ein Stück vom Kuchen, ich will die ganze Bäckerei.“

Die Diva flüstert auf dem roten Teppich den Schlüsselsatz: Sie wollen nicht die Person, sie wollen das Foto. Fast hätten wir den Politiker Hollmeier vergessen, der beim Bungee-Jumping stirbt. Und die gute alte Spinnerbrücke kriegt auch noch ihren Einsatz, denn Jack, Allround-Mafia-Man, der eigentlich in Sonnenbänken machen will, ist ein passionierter Motorradfahrer. Mit all den Anspielungen auf gerade abgehakte Skandale und Katastrophen ist dies gewissermaßen das Buch zur Zeitung von gestern, nur dass es schon vorher entstanden ist. Eigentlich hat die Geschichte mit Berlin nur manche Ortsbeschreibungen gemein, voll der üblichen Münchner Spitzen: „Besonders stolz war man, wenn es gelang, angeschlagene Waschbecken der zwanziger Jahre (…) in den sorgsam inszenierten Trümmergroove zu integrieren.“ Und bei Recherchen beim Presseball fühlte sich das Autoren-Duo wie „bei einer Bad-Taste-Party in Garmisch-Partenkirchen“.

Was zu beklagen ist, wäre vielleicht nur dies: Die Story hört irgendwie vor dem Ende auf. Vielleicht wäre es doch freundlich, ein wenig von dem hier so oft strapazierten weißen Zeugs reinzukleben, damit sich der geneigte Leser die Lücken leichter zusammenphantasieren kann. Wär’ doch mal ein ganz neuer Hype: „Mutter, das Buch mit dem Koks ist da.“

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