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Hart an der Grenze: Wo war eigentlich die Mauer?

Ein Test mit Neuberlinern und Alteingesessenen ergibt Erstaunliches:  Ältere sagen, die Jüngeren hätten keine Ahnung – und scheitern selbst. Wissen Sie, wo die Mauer verlief? Testen Sie Ihr Wissen mit der Berlin-Karte.

„In der Bernauer an der Mauer!“, kalauert die etwa 60-jährige Blondine, als sie nach ihrem Wohnort gefragt wird. Ja, gern wolle sie den Mauerverlauf in eine Karte zeichnen, sagt sie, während sie mit ihrem Mann durchs Rathaus Mitte geht. Das Bürgeramt an der Karl-Marx-Allee zwingt die Leute, Zeit zu haben. Zeit für die Frage, wo eigentlich die Mauer stand. Hier, wo Alteingesessene neben Neuberlinern und Junge neben Alten warten, soll sich zeigen, wie deutlich die Leute die Narbe noch vor Augen haben, die der Stadt vor 50 Jahren zugefügt worden ist.

Als Zeichenvorlage dient ein Gesamtberliner Umriss, in dem nur die Gewässer markiert sind. Das verbessert die Chancen jener, die Orte wie Spreebogen, Osthafen oder Teltowkanal finden. Die Frau aus der Bernauer schaut auf das Papier wie auf eine Küchenschabe. Und gibt es leer zurück. Auch ihr Mann mag den Stift nicht in die Hand nehmen: „Ich könnte da nur so’n senkrechten Strich machen.“

Die nächsten beiden Kandidaten sind Rentner und könnten ihrem Aussehen nach beruflich mit der DDR zu tun gehabt haben. Beim Stichwort „Mauer“ wenden sich beide ab, als hätte man sie zum Hütchenspiel eingeladen. Nicht so Renate Langhans, 55 Jahre alt, 30 davon lebt sie in Prenzlauer Berg. Sie erinnere sich gut, sagt sie spontan, „die Mauer ging ja zum Teil die Spree entlang“. Rasch senkt sich ihr Stift – und schwebt dann knapp über dem Blatt. Sie weiß nicht, wie sie die halbe Blatthöhe vom Norden bis zum sicher erkannten Humboldthafen am Hauptbahnhof überbrücken soll. Der Süden ist ihr noch weniger präsent. Als sie fertig ist mit ihrem Strich, bekrittelt sie das eigene Werk: „Die Proportionen stimmen nicht. Ost-Berlin war doch nur ein Drittel der Gesamtfläche.“ Ihr Strich verläuft am Tempelhofer Damm und teilt Lichtenrade.

Helga Meißner (72), die 2000 aus Leipzig an den Alex zog und ihr Sächsisch mitbrachte, sagt: „Jüngere müssen Sie ja gar nicht erst fragen.“ Beim Anblick der leeren Karte erschrickt sie. Sie weiß, dass die Mauer parallel zur Leipziger verlief und ums Brandenburger Tor. Aber weil sie nichts davon findet, gibt sie das Blatt leer zurück. „Sehr blamabel“ sei das.

Für Chen Wen Jie aus China ist die Sache einfach: „Ost-Berlin ist Straßenbahn, West-Berlin ist U-Bahn.“ Lesen Sie weiter auf Seite 2.

Zuvor hatte eine 31-Jährige mit Sonnenbrille getönt: „Da sollten Sie lieber ’ne Oma fragen.“ Ein anderer Jüngerer entschuldigte sich mit: „Hey, ich bin 30!“ und seinem Geburtsort Heidelberg. Seine politisch bewegte Mutter habe ihn als Achtjährigen mal nach Berlin kutschiert, aber das sei für die Katz gewesen. Er findet nur den Spreebogen. Ein etwa Gleichaltriger, der nach eigenem Bekunden vor zwei Wochen aus Hamburg hergezogen war, hob beim Blick aufs Blatt nur wortlos eine Braue. Und eine Dicke vom Typ Cindy aus Marzahn sagte: „Bin ick zu jung für! Ick bin Baujahr ’69.“

Wen soll man noch fragen, wenn 72-Jährige passen müssen und 42-Jährige zu jung sind? Chen Wen Jie zum Beispiel. Der 39-Jährige kam vor vier Jahren aus China, betreibt ein Schuhgeschäft am Ku’damm und wundert sich, dass er so viele Steuern zahlt und seit drei Stunden hier mit seiner Wartenummer hockt. „Ost-Berlin ist Straßenbahn, West-Berlin ist U-Bahn“, sagt er spontan. Und dass die Leute im Westen freundlicher seien, aber auf sehr dienstliche Art. Im Osten werde intensiver miteinander umgegangen. Und die Mauer? Er beginnt am Checkpoint Charlie, den er allerdings nach Tempelhof verlegt. Doch dann gelingt ihm eine etwas zu weit im Westen liegende, aber passable Grenzziehung. Noch besser trifft es ein 75-Jähriger aus Lichtenberg. „Rechts ist das russisch verpachtete Grundstück“, erklärt er sein Werk, in dem nur die Mauer durch Köpenick nicht stimmt.

Der 22-jährige Niederländer Julius Alkemade ist „den zweiten Tag in Berlin“, will hier studieren und hat oft überm Stadtplan gesessen. Als er seine voreilige Grenzziehung zwischen Nord und Süd bemerkt, dreht er das Blatt lachend hochkant. Sein zweiter Versuch wird besser.

Ein paar abwinkende Berliner später erklärt sich Yusuf Emen bereit. 60 Jahre alt, in der Türkei geboren, in Wedding heimisch. „Oberbaumbrücke, Bornholmer, Drewitz, Sonnenallee“, murmelt er. Vorsichtig verteilt er die Orte in der Stadt, um sie zu verbinden wie beim Malen nach Zahlen. Seine Methode erweist sich als die beste. Er sei Deutscher, betont Emen. Berliner. Nur für Drewitz hat er keine Verwendung. Er packt es nach Mariendorf. Da, wo Charlotte (15) und Alexander (16) wohnen. Beide beginnen in Neukölln. Er zeichnet forsch, sie zögerlich. Am Ende liegen beide ziemlich gut. Von wegen, die Jüngeren hätten keine Ahnung.

Wissen Sie, wo die Mauer verlief? Testen Sie ihr Wissen. Die Berlin-Karte finden Sie hier. Die Lösung können Sie hier herunterladen.

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