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© David Heerde

Harter Wettbewerb: Trotz Traumjobs an der Armutsgrenze

Berlin ist die Stadt der Akademiker und Kreativen. Der Wettbewerb ist hart, die Bezahlung oft schlecht. Dozenten lehren gratis, Anwälte und Architekten kämpfen um jeden Auftrag. Viele sind zum Überleben auf Hartz IV angewiesen. Und was meinen Sie? Machen Sie ähnliche Erfahrungen? Bitte diskutieren Sie mit.

Er hat einen Job, um den ihn andere beneiden. Wenn der Journalist Johannes Meyer (Name geändert) bei Partys erzählt, was er als freischaffender Kameramann erlebt, beeindruckt das seine Gesprächspartner. Seine Bilder sind regelmäßig in den Hauptnachrichten großer Sender zu sehen. Was Meyer auf den Partys nicht jedem erzählt: Seit Anfang des Jahres hat er zusätzlich zu seinen Honoraren Arbeitslosengeld II beantragt. „Man sollte meinen, dass ich mit meiner Qualifikation von meiner Arbeit leben kann“, sagt er. Doch seit einiger Zeit reicht es einfach nicht mehr. „Die Honorare stagnieren seit meinem Berufseintritt, aber die Kosten wie für die Krankenversicherung steigen, so dass ich immer mehr arbeiten muss und dabei immer weniger Spielraum habe.“ Und dabei werde er noch besser bezahlt als mancher Kollege.

Von Karrieren wie dieser hört man in Berlin in letzter Zeit öfter: Architekten, die in ihrer einst lukrativen Branche gerade genug verdienen, um sich über Wasser zu halten – aber nicht wissen, ob das Geld nächsten Monat noch reicht. Anwälte, die angesichts der wachsenden Konkurrenz über zu wenig Aufträge klagen. Und wer an Berlins Unis als Lehrbeauftragter arbeitet, bekommt dafür oft keinen Cent – weil die Hochschulen wenig Geld haben und nicht fest angestellte Akademiker hoffen, vielleicht doch noch einen festen Job zu bekommen.

In Berlin, so legen es Schilderungen und Statistiken nahe, gibt es immer mehr Akademiker in kreativen und einstmals gut bezahlten Berufsfeldern, die kaum noch von ihrer Arbeit leben können. Stärker als in jeder anderen deutschen Stadt spüren sie das Berliner Paradoxon, das sich nach Angaben des Statistischen Landesamts dadurch auszeichnet, „dass wir eine besonders gut ausgebildete Bevölkerung haben und dennoch mehr Arbeitslose als anderswo“. Die ständig wachsende Konkurrenz führt dazu, dass auch in einstigen Traumberufen die Bezahlung oft nicht mehr ausreicht, um davon auskömmlich zu leben.

Knapp 120 000 Berliner können laut Arbeitsagentur vom Arbeitslohn allein nicht leben und beziehen zusätzlich Hartz IV. Der Anteil der Akademiker ist zwar mit knapp 6200 eher gering, aber ihr Anteil steigt. Das merkt auch Andreas Köhn, der bei der Gewerkschaft Verdi freiberufliche Journalisten betreut: „Ich erlebe eine sehr große Nachfrage bei den Seminaren für Hartz-IV-Aufstocker“, sagt er. Interessierten sich vor zwei Jahren zwischen 80 und 100 Freiberufler für diese Seminare, so sind es mittlerweile 350. Insgesamt schätzt Köhn die Zahl der Journalisten, die in Berlin nicht von ihrer Arbeit allein leben können, auf 1500.

Auch für Architekten ist Berlin nach dem Zustrom neuer Kollegen in den 90er Jahren und dem Zusammenbruch der Bauwirtschaft ein besonders schwieriges Pflaster. „Katastrophal“ sei die Lage geworden, ist aus der Architektenkammer zu hören. Die Zahl der bei der Kammer erfassten freischaffenden Architekten ist in den vergangenen 15 Jahren um fast die Hälfte gestiegen, von knapp 3200 auf jetzt knapp 4700 – und das bei ständig sinkenden Aufträgen. Was das bedeutet, zeigt ein bundesweiter Vergleich der Bundesarchitektenkammer, der zu dem Ergebnis kommt, dass in der Hauptstadt der Anteil kleiner Büros außergewöhnlich hoch ist, die sich in einer „wirtschaftlich äußerst kritischen Lage“ befinden und pro Jahr höchstens einen Überschuss von bis zu 30 000 Euro erzielen. Folge: Viele Architekten satteln auf andere Berufe um oder kehren der Stadt den Rücken. „Aus meinem Bekanntenkreis sind nur wenige in Berlin geblieben“, sagt der Architekt Morten Loes, der heute in Österreich arbeitet. „Absolventen steigen zum Teil mit einem Gehalt von 13 Euro pro Stunde ein.“ Arbeit werde hier oft projektbezogen vergeben, „man weiß manchmal am Morgen nicht, ob man tagsüber noch Arbeit hat“.

Die Ursachen liegen, neben der allgemein schwierigen Wirtschaftslage, auch in der hohen Attraktivität, die Berlin auf Menschen gerade mit guter Bildung und kreativen Berufen ausübt. Mehr als ein Drittel der Berliner zwischen 25 und 64 Jahren verfügt nach Angaben der Statistiker über ein hohes Bildungsniveau, also Hochschulabschluss oder Abitur und Fachschulausbildung. Das ist mehr als in jedem anderen Bundesland, wo im Schnitt nur ein Viertel der Bevölkerung ein vergleichbares Bildungsniveau erreicht. In Berlin führt dies jedoch nicht automatisch zu Arbeitsplätzen: Knapp neun Prozent aller Arbeitslosen hatten im Oktober einen Hochschulabschluss.

Die meisten am Existenzminimum arbeitenden Akademiker tauchen jedoch nie in diesen Statistiken auf, sondern „wursteln sich so durch“, wie es der freiberufliche Journalist Andreas Schneider sagt. Er selbst spielt immer mal wieder mit dem Gedanken, Hartz IV zu beantragen, „aber ich war dann doch noch nicht so weit“. Schneider hat einen Hochschulabschluss und renommierte Auftraggeber. Der 30-jährige Vater einer Tochter verdient um die 1000 Euro im Monat – brutto. Rücklagen für Rente, Urlaub, Krankheiten oder für eine neue Waschmaschine sind da nicht drin. „Ich leih mir Geld, wenn’s grad knapp ist. Bisher konnte ich es Familie und Freunden immer wieder zurückzahlen“, sagt er. Und doch kann sich Schneider nur schwer einen anderen Beruf vorstellen. Journalismus sei doch ein Traumberuf.

Von Durchwursteln spricht auch Wiebke Koch, Initiatorin des Projekts „Hub Berlin“, das in Kreuzberg Büroplätze für Freiberufler vermietet, vor allem „Kreativarbeiter“ wie Journalisten, Werbetexter, Designer oder Architekten: „Das ist eine ambivalente Sache – einerseits wählen viele Freiberufler diese Situation selbst und haben eine große Unabhängigkeit, andererseits leben sie auch oft nur von Auftrag zu Auftrag.“

Welche Folgen die wachsende Unsicherheit auch in hochqualifizierten Berufen hat, hat Luiza Olos vom Fachbereich Arbeitspsychologie der FU Berlin untersucht. Für ihre Dissertation hat sie knapp 600 Psychologen befragt – auch bei dieser Berufsgruppe haben 25 Prozent zwei oder mehrere Jobs. „Das kann auch Freiheit bedeuten“, sagt Olos. Schwierig wird es mit der Berufsidentität, wenn man nebenher einer Arbeit nachgeht, die unter der eigenen Qualifikation liegt. Auch bergen diese Beschäftigungsformen gesundheitliche Risiken: „Das kann an die Substanz gehen.“ Die Folgen: Burn-out oder Probleme in Familie und Partnerschaft. Ein erfolgreicher Mehrfachjobber oder Freiberufler brauche bestimmte Persönlichkeitsmerkmale und Kompetenzen: Selbstmanagement, Flexibilität, Stressresistenz, Zuversicht, Risikobereitschaft. Und die Fähigkeit, mit Unsicherheit leben zu können. „Wer diese Merkmale nicht hat, der gibt meistens wieder auf und versucht, einen einzigen Job zu bekommen“, sagt Olos. Wenn er denn einen findet.

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