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Berlin: Hartz IV: Höhere Kosten, wenig Überblick Zahl der Bedarfsgemeinschaften steigt deutlich Land rechnet mit 150 Millionen Euro Mehrkosten

Die Berliner Arbeitsagenturen und Jobcenter haben keinen Euro zu viel, die Kosten der Arbeitsmarktreform steigen mit jedem Monat. Dennoch zeigt sich die Behörde auch dort großzügig, wo es ausdrücklich nicht erwünscht ist: Andreas Zirkel, der tatsächlich anders heißt, bekam vom Jobcenter Neukölln fünf Monate lang rund 900 Euro Arbeitslosengeld II im Monat überwiesen.

Die Berliner Arbeitsagenturen und Jobcenter haben keinen Euro zu viel, die Kosten der Arbeitsmarktreform steigen mit jedem Monat. Dennoch zeigt sich die Behörde auch dort großzügig, wo es ausdrücklich nicht erwünscht ist: Andreas Zirkel, der tatsächlich anders heißt, bekam vom Jobcenter Neukölln fünf Monate lang rund 900 Euro Arbeitslosengeld II im Monat überwiesen. Zu Unrecht. Denn er hatte er eine neue Stelle gefunden und das dem Jobcenter mehrfach mitgeteilt: „Ich habe zwei Briefe geschrieben, eine Änderungsmitteilung persönlich in den Hausbriefkasten geworfen und mit einem Mitarbeiter telefoniert, der versprach, die Sache zu regeln“, sagt er. Passiert sei nichts. Zudem habe der neue Arbeitgeber einen Antrag auf Eingliederungszuschuss gestellt. Spätestens da hätte der Fehler einem Sachbearbeiter auffallen müssen. Aber: „Das Geld kam trotzdem, Monat für Monat.“ Jetzt hat Zirkel das Jobcenter noch einmal per Einschreiben auf den Missstand hingewiesen, um einen Beweis zu haben.

Uwe Mählmann, Sprecher der Arbeitsagentur Süd, sagte gestern: „Sollte der Fall stimmen, gehe ich davon aus, dass es sich um eine sehr seltene Ausnahme handelt.“ Ein Fallmanager des Jobcenters, der seinen Namen nicht nennen möchte, hält es „für durchaus denkbar, dass so etwas passiert. Wir sind immer noch heillos überlastet.“ Solche Fehler dürfen nicht vorkommen, sagt Olaf Möller, der Sprecher der Arbeitsagentur Berlin-Brandenburg. „Aber sie sind mitunter auch schon passiert, bevor es Hartz IV gab.“

Auch wenn Andreas Zirkel das zu viel erhaltene Arbeitslosengeld, bisher rund 4500 Euro, zurückzahlen muss – sein Fall mag nicht zu den jüngsten Hartz-IV-Statistiken passen. Danach steigt die Zahl der Arbeitslosengeld-II-Empfänger in Berlin monatlich, die Kosten der Arbeitsmarktreform explodieren. Jeder sechste Berliner Haushalt ist inzwischen von Hartz IV abhängig. Die Zahl der Bedarfsgemeinschaften ist seit Januar um 40 Prozent auf 314000 gestiegen. Zu Jahresbeginn waren es 225000. Die Zahl der ALG-II-Empfänger stieg im selben Zeitraum um 29 Prozent (402470 gegenüber 310331) – hier sind die Mitglieder der Bedarfsgemeinschaften eingerechnet, also Ehe-, Lebenspartner oder Kinder. Folge des Anstiegs: Berlin muss in diesem Jahr 150 Millionen Euro mehr für die Arbeitsmarktreform ausgeben als geplant. Die Kosten könnten weiter klettern: Knapp 50000 Erwerbslose haben Widerspruch gegen die Höhe des ALG II eingelegt. Beim Sozialgericht sollen einige tausend Klagen oder Eilanträge liegen.

Nach Ansicht von Sozialsenatorin Heidi Knake-Werner (Linkspartei) sind die Kosten in Berlin vor allem deshalb so hoch, „weil deutlich mehr Sozialhilfeempfänger arbeitsfähig sind als vom Bund ursprünglich berechnet“. Weil sich auf dem Arbeitsmarkt wenig tue. Und weil Menschen schon nach einem Jahr als langzeitarbeitslos gelten. Den Verdacht, dass zunehmender Sozialbetrug die Ursache für den Kostenanstieg sein könnte, weist die Senatorin zurück. Eine Zeitung hatte gemutmaßt, dass sich viele Paare pro forma trennen, um vom Staat weiterhin oder zusätzlich Geld zu bekommen. Gegen die Betrugsthese spricht jedoch, „dass sich der Anteil der Single-Haushalte seit Jahresbeginn praktisch nicht verändert hat“, wie Arbeitsagentursprecher Olaf Möller sagt. Unverändert sind zwei von drei Hartz-IV- Haushalten Single-Haushalte.

Marc Neller

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