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Berlin: Hartz IV: Streit um Zwangsumzüge

Sozialverwaltung zweifelt Studie an, nach der 45 000 Mieter ihre Wohnung aufgeben müssen. Eigene Zahlen aber hat der Senat nicht

Von Sabine Beikler

Niemand weiß, wie viele Hartz-IV-Empfänger in Berlin von Umzügen bedroht sind. „Die Verantwortung für das Erstellen der Zahlen liegt bei Sozialsenatorin Heidi Knake-Werner“, sagte Olaf Möller, Sprecher der Regionaldirektion der Bundesagentur für Arbeit. Die Sozialverwaltung aber gibt den Schwarzen Peter zurück. Roswitha Steinbrenner, Sprecherin von Knake-Werner (Linkspartei): „Wir haben uns mehrfach an die Bundesagentur in Nürnberg mit der Bitte um Zahlen gewandt, diese aber nicht erhalten.“

Mit der Software der Bundesagentur für Arbeit ließe sich gar nicht ermitteln, wie vielen Familien ein Umzug droht, sagt Arbeitsagentur-Sprecher Möller. Gleichwohl hindere die Senatsverwaltung nichts daran, über die zwölf Berliner Jobcenter die Zahl der Betroffenen zu ermitteln. Möller verweist dazu auf eine Rahmenvereinbarung zwischen Land und Regionaldirektion.

Trotz der fehlenden Daten hält man in der Sozialverwaltung die Schätzungen des Stadtforschungsinstituts Topos, wonach 35 000 bis 45 000 Berliner Familien wegen zu hoher Mieten umziehen müssten, für überzogen. Steinbrenner bemängelte, dass die Prognose nicht auf „harten Fakten, sondern auf Befragungen beruht“. In Berlin gibt es 386 000 Empfänger von Arbeitslosen-Geld II und 300 000 betroffene Haushalte.

Die vom Senat erlassene Regelung sehe vor, „dass im ersten Jahr alle Mietkosten übernommen werden, außer sie weichen exorbitant vom Schnitt ab“, sagte Steinbrenner. „Für uns sind Einzelfälle entscheidend, keine Prognosen.“ Man habe auch Regelungen für Härtefälle vereinbart: Schwangere, Familien mit Kindern oder Ältere dürfen zum Beispiel die zulässige Miete um zehn Prozent überschreiten oder müssen „im Einzelfall“ gar nicht umziehen. Allerdings: „Junge Singles stehen nicht unter besonderem Schutz.“ Außerdem könnten Mietkosten durch Untermietverträge oder die Senkung von Betriebskosten reduziert werden.

Dass die Verwaltung noch keine Zahlen hat, ist für Grünen-Fraktionschefin Sibyll Klotz „politisch unverantwortlich“. Die Verwaltung wälze die Schuld ab, kritisierten auch Gregor Hoffmann (CDU) und Rainer-Michael Lehmann (FDP).

Sollten sich die Topos-Prognosen jedoch bestätigen, will sich die Fraktion der Linkspartei/PDS gemeinsam mit Sozialsenatorin Knake-Werner für eine Korrektur der geltenden Wohnraumregelung einsetzen, sagte die Sozialexpertin der Fraktion, Stefanie Schulze.

Der Bezirksgeschäftsführer der Gewerkschaft Verdi, Roland Tremper, forderte, dass es in Berlin zu keinem einzigen Zwangsumzug kommen dürfe. Jeder Fall sei ein „sozialpolitischer Skandal, der zu einer weiteren Stigmatisierung der Betroffenen zu einer Herausbildung von Armenghettos in Berlin führt“.

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