zum Hauptinhalt

Berlin: Hartz sei Dank: 400 Genossen gewonnen

Die Proteste gegen die neuen Gesetze machen der Berliner SPD zu schaffen – aber manche treten gerade wegen der Reformen ein

Den Kanzler Schmidt von der SPD fand er schon lange gut, obwohl die Oma oft über die Sozen schimpfte. Als der Lotse dann 1982 gehen musste, weil Genscher nicht mehr mit ihm regieren wollte, fand Alex das total unfair. Elf Jahre alt war er damals, ein politischer Frühentwickler. Jetzt ist Alex 33, und wieder muss er mitansehen, wie „total unfair“ ein SPD-Kanzler behandelt wird. Diesmal sind es die Montagsdemonstranten, die Ostsozen von der PDS und sogar die eigenen Genossen, die auf dem Schröder herumhacken. Alles wegen der Agenda 2010 und Hartz IV.

„Das tut einem fast Leid“, sagt Alex. Zum 1. Juli ist er dann eingetreten in die SPD. „Eine reine Unterstützungssache.“ Hartz IV treibt nicht nur scharenweise Alt-Genossen aus der Partei – in Berlin kommen auch scharenweise Neu-Genossen hinzu. 400 waren es allein seit Jahresanfang. „Und die meisten davon ausdrücklich wegen der Reformen“, sagt SPD-Parteisprecher Hannes Hönemann.

Alexander Geilhaupt, so heißt Alex richtig, modelliert seine dunklen Haare zu einem schroffen Gebirgszug, trägt lange Koteletten und einen dünnen weißen Pullover. Er arbeitet in einer kleinen IT-Firma, die für den Autohandel Anzeigen in Internet-Märkten platziert. In einem früheren Lebensabschnitt tourte Alex als Gitarrist und Songschreiber mit einer Band durch die Republik. „Bis zum Popstar hat es aber nicht gereicht.“ Zwischendurch war er bei der Bundeswehr und auch mal zwei Jahre arbeitslos. Mit der traditionellen Arbeiter- und Gewerkschaftspartei SPD verbindet ihn so ziemlich gar nichts. Die Geschichte der Partei interessiert Alex auch nicht weiter: „Ich wäre auch eingetreten, wenn man sie gestern erst gegründet hätte.“

Auch in seinem Bielefelder Elternhaus lassen sich kaum verwertbare Indizien für eine sozialdemokratische Prägung aufstöbern. Sein Vater, Physikprofessor an einer Fachhochschule, sei ziemlich unpolitisch, seine bereits verstorbene Mutter stand den Grünen nahe. Die Familie wohnte zur Miete in einer bürgerlichen Vorstadt. Es gab kaum Anlass, die gesellschaftlichen Verhältnisse als ungerecht zu empfinden. In der Schule und später in seiner Band gab es aber viele Leute, die einfach links standen, ziemlich weit links sogar, und so ergab es sich fast zwangsläufig, dass Alex in der Auseinandersetzung zwischen bürgerlicher Herkunft und sozialrevolutionärem Umfeld seinen politischen Anker etwas links von der Mitte auswarf. Er nahm sich denn auch vor, in die SPD einzutreten, aber der entscheidende Impuls, damit ernst zu machen, blieb immer aus.

Wenn Alex über Hartz IV und die SPD nachdenkt, runzelt sich seine Stirn. Die Zigarette hält er wie einen kleinen spitzen Bleistift in die Richtung seiner Zuhörer. „Da wird richtig Stimmung gemacht gegen die SPD. Wofür die Partei eigentlich steht, weiß doch niemand mehr.“ Zu Hartz IV gebe es keine Alternative. Viele Leute ohne Job würden sogar profitieren. Als er selbst arbeitslos war, litt er unter Antriebsschwierigkeiten und Anfällen von Lethargie. „Das war sehr hart. Man verliert die Motivation und die eigene Wertschätzung. Hätte es damals finanzielle Abstriche gegeben, wäre ich früher wieder aktiv geworden. Für mich wäre das besser gewesen.“

Während seiner Arbeitslosigkeit machte Alex eine „Maßnahme“, eine Fortbildung zum Fachinformatiker. Die sei aber fachlich so schlecht gewesen, dass er vorzeitig abbrach und sich mit einer eigenen Firma selbständig machte. Die hielt zwar nicht lange durch, verschaffte ihm aber mehr Selbstvertrauen und bessere Chancen auf einen Job in der Branche.

Alex meint es ernst. Parteiämter strebe er nicht an, aber an internen Diskussionen wolle er sich beteiligen. Die ersten Einladungen seines Kreisverbandes liegen schon in seinem elektronischen Briefkasten.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false