zum Hauptinhalt
Eine Computertaste mit der Aufschrift Hass.

© IMAGO

Exklusiv

Hassmails an Vorsitzenden des Zentralrats: Berliner Hotelier hetzt gegen Sinti und Roma

Seit Monaten attackiert ein Hotelier Romani Rose, den Vorsitzenden des Zentralrats Deutscher Sinti und Roma, mit exzessiven Beleidigungen. Berlin erlebt einen zweiten Fall Attila Hildmann. 

Von Frank Jansen

Es beginnt in der Nacht zum 21. Oktober 2020. Um 3.43 Uhr geht beim Zentralrat Deutscher Sinti und Roma eine Mail ein mit dem Betreff „Enkeltrick“. Angesprochen wird der Vorsitzende des Zentralrats, Romani Rose.„Hallo Oberzigeuner Rose, wie stehen sie denn dazu, dass der üble Enkeltrick nur von ihren Landsleuten begangen wird?“

Es folgt eine Aufzählung von Straftaten wie „Bandendiebstahl, Gruppenvergewaltigung, Raub“, für die der Absender „Zigeuner“ verantwortlich macht. „Ein Freund sagt mir: die Behandlung von Zigeunern zwischen 1933 - 1945 war genau das, was die Zigeuner verdient haben“, schreibt der Mann.

Dann schiebt er nach, „ich bin natürlich vollkommen anderer Meinung“. Die Mail endet mit dem zynischen Satz, „Ihr Zigeuner seid eine wunderbare Bereicherung für mein Land. Danke.“

So geht das über Monate. Rose erhält knapp ein Dutzend Mails. Der Absender steigert sich immer mehr in Vernichtungsfantasien hinein. Vor knapp zwei Wochen schreibt er, „ab in die Gaskammer mit diesem Ungeziefer“. Und: „Es wird wieder eine Zeit kommen...“.

Der Mann befürwortet offenkundig eine Wiederholung des Völkermords, den das Naziregime an Sinti und Roma begangen hat. Mehrere 100 000 wurden bis 1945 ermordet. Der Zentralrat spricht von einer halben Million Opfer.

Attila Hildmann hetzt gegen Juden und lobt Hitler

Wer ist so wahnsinnig, Romani Rose und Sinti und Roma kollektiv derart zu diffamieren und zu bedrohen? Ein Neonazi? Das würde kaum überraschen, die rechtsextreme Szene tickt wie einst die NS-Verbrecher. Aber der Fall der Hassmails ist noch verstörender. 

Der Autor ist offenbar ein Berliner Hotelier. Ein Mittelständler, ein wohl erfolgreicher Geschäftsmann. Ein Mensch aus der bürgerlichen Mitte, bislang nur einmal zu einer Geldstrafe verurteilt wegen einer offenbar unpolitischen Beleidigung.

Es scheint, dass sich der Fall Attila Hildmann wiederholt. Der einst prominente Veganerkoch ist zum Reichsbürger mutiert, der gegen Juden hetzt und Hitler lobt. Um einer Strafe zu entgehen, hat sich Hildmann Anfang des Jahres in die Türkei abgesetzt.

Der Hotelier ist weiterhin in Berlin. Die Staatsanwaltschaft ermittelt seit November wegen des Verdachts auf Volksverhetzung und Bedrohung. Der Anwalt von Romani Rose, der Berliner Mehmet Daimagüler, hat seit Oktober mehrere Strafanzeigen geschrieben. Darin betont Daimagüler, dass im Strafrecht seit 2014 „ausdrücklich Rassismus als strafverschärfendes Kriterium bei der Strafzumessung“ benannt wird.

[Wenn Sie alle aktuellen Nachrichten live auf Ihr Handy haben wollen, empfehlen wir Ihnen unsere App, die Sie hier für Apple- und Android-Geräte herunterladen können.]

Daimagüler kennt sich mit rassistischen Delikten aus. Im NSU-Prozess am Oberlandesgericht München trat er als Opferanwalt auf und war eine deutlich hörbare Stimme.

Für den Hotelier wird es eng. Mitte Juni rückt die Polizei bei ihm zur Durchsuchung an. Es seien „Tatmittel“ gefunden worden, sagt die Staatsanwaltschaft. Demnach müsste zumindest das I-Phone des Hoteliers sichergestellt worden sein. 

Mehrere Mails scheint der Mann in sein Smartphone getippt zu haben. Und regelmäßig nennt er seinen vollen Namen, die Adresse und seine Handynummer. Den Hotelier beeindruckt offenbar auch die Razzia der Polizei nicht. Es folgen Mails bis Anfang Juli.

Das offene Bekenntnis zum antiziganistischen Hass erschreckt Romani Rose fast noch mehr als die Mails an sich. „Ich unterscheide zwischen Leuten, die mal spontan ihren Hass, ihren Antiziganismus rauslassen, und den Drohungen, die man wirklich ernst nehmen muss“, sagt Rose dem Tagesspiegel. „Dazu gehört die Geschichte aus Berlin. Der Mann hat das ja unter seiner eigenen Adresse gemacht“. Das zeige, „dass ein Potenzial von Hass vorhanden ist, dass ich schon für gefährlich halte“.

Bis zu zwanzig Drohungen pro Jahr

Pro Jahr gingen beim Zentralrat zwischen zehn und zwanzig Drohungen ein, sagt Rose. Weitere Hassschreiben bekämen die Landesverbände der Sinti und Roma. Rose betont, „die Nazis waren ein Verbrecherstaat, der die Zivilisation gebrochen hat. Wenn wir für unsere Kinder und Enkel Frieden wollen, dürfen wir diese menschenverachtende Ideologie nie wieder hochkommen lassen“.

[In unseren Leute-Newslettern berichten wir wöchentlich aus den zwölf Berliner Bezirken. Die Newsletter können Sie hier kostenlos bestellen: leute.tagesspiegel.de]

Welche Folgen rassistischer Hass für Sinti und Roma haben kann, zeigt der Anschlag vom Februar 2020 in Hanau. Drei der neun Opfer aus Einwandererfamilien waren Roma.

Berlin hat bei antiziganistischen Straftaten eine bedenkliche Bilanz. Von 209 Delikten in Deutschland, die das Bundeskriminalamt in den Jahren 2019 und 2020 zählte, wurden 41 in der Hauptstadt verübt. Das ist fast ein Fünftel. Die Zahlen stehen in einer Antwort der Bundesregierung vom Februar auf eine Kleine Anfrage der Linken-Bundestagsabgeordneten Ulla Jelpke und ihrer Fraktion zu antiziganistischen Straftaten.

In Berlin stellte die Polizei vor allem Beleidigungsdelikte gegen Sinti und Roma fest, gefolgt von Volksverhetzung, einfacher und gefährlicher Körperverletzung, Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen, Bedrohung, Sachbeschädigung, Erpressung, Verunglimpfung des Andenkens Verstorbener - und in einem Fall Totschlag.

Der Hotelier selbst will sich öffentlich nicht äußern. Er spricht mit dem Tagesspiegel, gibt aber kein Zitat frei. In einer Hassmail an den Zentralrat steht, „und nebenbei Rose: deine Anzeige gegen mich interessiert mich einen Scheißdreck. Ich habe mehr Geld, als du jemals von uns Deutschen bekommen wirst.“

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false