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Berlin: Hauptstadt als föderale Garküche DER AUTOR: KLAUS BRAKE, STADTFORSCHER BERLIN, DIE GEDULDETE HAUPTSTADT?

Berlin bietet der Republik eine Bühne für den internationalen Austausch – und sollte die Anregungen für die eigene Entwicklung nutzen/Von Klaus Brake

Für Berlin birgt die HauptstadtFunktion ein relevantes Entwicklungspotenzial. Zugleich kann der produktive Umgang mit diesem Potenzial aber auch die Rolle einer Hauptstadt in Deutschland klären helfen.

Gerade die Frage nach den wirtschaftlichen Entwicklungsimpulsen für Berlin durch die Hauptstadtfunktion eröffnet den Blick auf ein ganz spezifisches Wirkungsfeld. Damit sind vorrangig nicht die Arbeitsplatzeffekte von Regierung, Parlament, Verbänden, Parteien oder auch Länder-Vertretungen gemeint, die nach Berlin gekommen sind und die einen nicht zu unterschätzenden Fundus der Ausstattung dieses Standortes darstellen. Mit der Hauptstadtfunktion sind noch viel weiterreichende qualitative Wirkungen verbunden. „Hauptstadt“ bedeutet doch erst einmal, dass Berlin Regierungssitz ist. Hier wird die Politik Deutschlands gemacht, und das heißt im Kern, es werden Entscheidungen getroffen – und vor allem werden sie vorbereitet.

Eine besondere Bedeutung kommt dabei den föderalen Strukturen zu, in denen die Entscheidungen getroffen werden: In denen der Bundesrepublik aus Bund, Ländern und Gemeinden; das ist die historische und kulturelle Besonderheit Deutschlands. Auch in der ebenfalls föderalen Europäischen Union. Und im Kontext multilateraler Weltpolitik.

Die vorbereitenden Meinungsbildungsprozesse für diese Entscheidungen sind zudem ein Zusammenwirken unterschiedlichster Akteure, deren „Bezugsgruppen“ wie Parteien, Verbände oder auch NGOs ihrerseits föderal organisiert sind. Das erweitert und intensiviert die gesamte Abstimmungstätigkeit. Auch sie orientiert sich zunehmend auf Berlin als Verhandlungsort; die kulturelle Attraktivität der Stadt befördert das ganz offenkundig.

Hinzu kommen schließlich die zunehmend differenzierteren Politikthemen und der steigende Bedarf an fachkundiger Beratung; für Hearings etwa oder auch für Kommissionen werden zusätzlich Experten, Ratgeber oder Gutachter hinzugezogen.

Der Prozess der Meinungsbildung und Entscheidungen deutscher Politik vollzieht sich also in einem thematisch wie auch regional besonders vielschichtigen Geflecht und mit vielen Menschen sehr unterschiedlicher Erfahrungshintergründe. Berlin ist ein ganz wesentlicher Knotenpunkt dieses Geflechts, ein Treffpunkt der Welt – und damit ein Ort, der mit ungewöhnlich vielen Anregungen versorgt wird. Diese vielfältigen Anregungen auch für wirtschaftliche Entwicklungen zu nutzen – das ist das eigentliche Hauptstadt-Potenzial mit langfristigen Schneeball-Effekten.

Dieses Potenzial kann sich in Berlins Hauptaufgabe entfalten, nämlich „Arbeit für mehr Menschen“ zu generieren. Dafür sind Vorsprünge im Wissen um Ideen für wettbewerbsfähige Leistungen und Produkte nötig. Förderliche Anregungen dazu ergeben sich aus dem (Erfahrungs-)Austausch mit Trägern von Ideen – möglichst aus aller Welt, aber eben hier vor Ort: Berlin muss also ein excellenter Treffpunkt sein.

Gerade dazu trägt die Hauptstadt-Funktion hervorragend bei. Eine intensive Interaktion mit solchen Gästen ist das Gebot.

Die Anwesenheit der Politikexperten sollte genutzt werden für gezielten Erfahrungs-Austausch mit Vorträgen, Diskussionen und anschließenden (Kurz-)Seminaren, in denen Berlinerinnen und Berliner zu weiteren eigenen Ideen angeregt werden. Dazu bietet sich auch die Kooperation mit den Wissenschaftskollegs an, mit den – an Zahl zunehmenden – internationalen Politik-Denk- Fabriken und Dependancen ausländischer Wissenschaftseinrichtungen in Berlin und mit deren Fellows.

Wesentliche Beiträge für einen solchen Ideen- und Erfahrungs-Austausch kommen natürlich auch aus den Bundesländern. Hauptstadt ist – zumal in Deutschland – ein föderales Projekt. Der Föderalismus agiert in Berlin; die Länder, aber auch Regionen und Städte sind hier präsent. Sie sind Träger eigener Kulturen – auch des Wirtschaftens, wie wir immer wieder erfahren und wovon für Berlin zu lernen wäre. Sich auch damit hier zu präsentieren, liegt im besonderen Interesse Berlins. Die Gelegenheiten, die über Marketing hinausgehen und auch Anregungen für neue Ideen vermitteln können, sind zu optimieren, etwa mit Ausstellungen, Workshops, Training oder Fortbildung. Die Hauptstadt muss attraktiv sein als die Bühne der föderalen Akteure.

Attraktiv sein auch im Kontext Europas und derjenigen Regionen, die sich allmählich ja „unterhalb“ und „quer“ zu den gewohnten Nationalstaaten als Aktionsräume herausbilden. Das ist auch ein kulturelles Projekt. Dazu bietet sich eine Kooperation an etwa mit dem DAAD-Künstler-Programm, den Partei-Stiftungen und mit den ausländischen Kultur-Instituten, die es ja zahlreich und prominent nach Berlin zieht. Die möglichen gemeinsamen Lernprozesse sollten sich auch darauf erstrecken, Erfahrungen in föderalen oder Netzwerk-Strukturen weiterzuentwickeln zu neuen Qualitäten und Identitäten einer Kultur des Multilateralen.

In diesem Sinne kann sich Berlin auch zu einer „Garküche des Föderalismus“ entwickeln. Durchaus, um daraus Nutzen zu ziehen – wie das auch für die anderen Akteure gilt. Sie können damit zugleich den praktischen Sinn einer Hauptstadt erleben und neu definieren. Eine Hauptstadt als Treffpunkt und als „Bühne des Föderalismus“ wird denen auch was wert sein, die sie bespielen – statt nur als „Geberkonferenzen“ wahrgenommen zu werden.

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