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Berlin: Hauptstadt der Gläubigen

Der Kirchentag begann fröhlich und begeisterte mit Leichtigkeit Hunderttausende – die Besucher strahlten, und der Himmel lachte dazu

Die Mitte singt und swingt. Der Wettergott hat der Stadt für diesen Himmelfahrtstag einen Heiligenschein aufs Haupt gezaubert – zehntausende Leute danken lächelnd für diese Gnade des Herrn; am Vorabend hatten nahezu 400 000 Menschen die Eröffnung des Kirchentages gefeiert.

An diesem Donnerstag erlebt Berlin an den Brennpunkten des Ökumenischen Kirchentages eine Mischung aus kultiviertem Volksfest, beschaulichem Sonntagsausflug und einzigartigem Treffpunkt einer Großfamilie: Das Kreuz verbindet die Generationen aus allen deutschen Landen (und darüber hinaus) ebenso wie ihr Glaube an Gott. „Ich sehe meinem Nachbarn doch nicht an, ob er evangelisch oder katholisch ist“, sagt eine Ostfriesin Unter den Linden, „aber wichtig ist, dass auch er wie ich dieses orangene Tuch um den Hals gebunden hat, und darauf steht, was wir fühlen und was uns in diesen Tagen über alle theoretischen und theologischen Debatten hinweg eint: ,Selig sind, die Frieden stiften’.“

Keinen Ärger, nur Freundlichkeit. Auskunftsbereite Berliner stillen die Wissbegier ihrer Gäste, wo immer jemand ratlos seinen Stadtplan entfaltet. „Und diese Kirche da?“ – „Det is der Berliner Dom!“ –, und schon folgen die Einzelheiten von Goldmosaiken und Hohenzollernsärgen, „am besten, Sie jehn mal rinn“. Der Neorenaissance-Bau ist voll, manch einer wähnt sich inmitten der bei den Lutheranern eher unüblichen Prachtentfaltung auf katholischem Terrain. Vor dem Altar schmettert ein Hamburger Bläserquintett, es ist die Zeit des Mittagsgebets, feierlich und schwer ruft das Geläut, doch das Dröhnen vom Turm gerät plötzlich zwischen die Synkopen einer Big Band aus Espelkamp, in der 50 junge Leute eines musikbegeisterten Städtchens aus Nordrhein-Westfalen die friedvolle Belagerung des Lustgartenrasens mit ihren Jazzrhythmen unterhalten.

Mitten durch die getragene Festlichkeit rollt plötzlich der deutsche Vatertag: ein Dutzend fröhliche Gesellen auf einem LKW mit Bier, Bols und Bouletten. Die Herren liefern einem Fernsehteam die Super-Bilder von Himmelfahrt 2003: weltliche Bierseligkeit und Kirchentags-Segensheil vor der Kulisse des Doms, „Super!“, ruft der Kameramann.

Ein Ehepaar aus der Lüneburger Heide, evangelisch, Rentner, freut sich am „gemeinsamen Miteinander aller Gottes-Kinder unter dem Himmel von Berlin“; ja, es gäbe doch viel mehr Gemeinsames als Trennendes, Loben sei viel christlicher als Meckern, und die Stimmung in Berlin sei doch „rundum positiv“. Die Gäste aus der Heide wohnen bei Freunden in Charlottenburg, „und auch diese Gastfreundschaft der Berliner hat uns ebenso gefallen wie die interessante Stadt“. Und dann – so sagen es viele Besucher immer wieder – sei es wohltuend, zu erleben, „dass wir nicht so allein auf verlorenem Posten sind“: Die Trauer über ewig leere Kirchenbänke weicht hier der Freude über die große Menge Gleichgesinnter. So sieht es auch eine 17-jährige katholische Berlinerin, Agnes John von St. Michael: „Man sieht, dass so viele Menschen, junge zumal, an Gott glauben, und man spürt: Du bist eben doch nicht allein.“ So wird die Messdienerin mit einem neuen Gefühl innerer Kraft in ihre Kirche kommen, „und dabei spielt es doch überhaupt keine Rolle, ob einer katholisch oder evangelisch ist“. Lothar Heinke

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