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Havelchausee

© Steinert

Havelchaussee: Alte Liebe – neu entdeckt

Die Havelchaussee galt als West-Berlins Ausflugsziel Nummer Eins. Jetzt wird ihr Reiz wiederentdeckt. Ein neuer Biergarten hat eröffnet und auch die Sanierung des Grunewaldturms ist fast abgeschlossen.

Blech an Blech, immer wieder Staus, verbotenes Parken auf den Waldwegen: Die Havelchaussee erinnerte an den vergangenen Ostertagen an ihre vollsten Zeiten – als West-Berliner Ausflugziel Nummer eins vor dem Mauerfall. Die Ausflugslokale an der Strecke konnten sich freuen. Björn Hansow, der neue Wirt des Grunewaldturm-Restaurants, hatte in den Tagen zuvor den Boden beackert und rechtzeitig einen großen Biergarten mit 600 Plätzen fertiggestellt. Mit toller Sicht auf die Havel. Das Restaurant ist modernisiert, zu Ostern war es ausgebucht.

Es kommen wieder mehr Leute zum Turm, obwohl der noch gesperrt ist und vermutlich erst Ende Juni fertig saniert ist. „Die Berliner sind dabei, den Westen neu zu entdecken“, freut sich Hansow. Der Westen – das ist für ihn in diesem Fall die Havelchaussee vor der Tür. Ein Ausflugsklassiker, der nach dem Fall der Mauer etwas in Vergessenheit geriet.

Dabei ist sie die schönste und mit rund zehn Kilometern die längste und kurvenreichste Uferstraße der Stadt, Strand und Wald zugleich. Am Wasser lagern die Sonnenfreunde, sie baden schon und genießen die Aussicht aufs Wasser. Im Rücken die Chaussee, auf der Tempo 30 gilt. Wer sich an Werktagen, wenn der Verkehr dünn ist, daran hält, darf sich als Außenseiter fühlen. Die Polizei teilt allerdings mit, dass bei 780 Geschwindigkeitsmessungen im vergangenen Jahr nur 70  Verstöße festgestellt wurden. Das ist ein Anteil von knapp neun Prozent. Bei vergleichbaren Tempo-30- Zonen sind es 14,35 Prozent.

Das Fahrverbot von Mitternacht bis 6 Uhr morgens, ausgenommen Taxis, erinnert an alte Streit-Schlachten, die um die Havelchaussee ausgefochten wurden. Vor 20 Jahren wurde die Straße aus Umweltgründen vorübergehend gesperrt, vor einigen Jahren stand eine teilweise Sperrung im Wasserschutzgebiet zur Diskussion. Als die Mauer fiel, fiel auch der Vorschlag, die Chaussee zu bepflanzen. Vor 40 Jahren wurden amUfer noch Autos gewaschen, bis in die 80er Jahre gab es so turbulente Sommerwochenenden, dass die Chaussee schon um 10 Uhr morgens wegen Überfüllung gesperrt werden musste. An beiden Seiten parkten Autos, dicht an dicht, es gab oft gar kein Durchkommen mehr, wenn die Leute mitten auf der Straße ihre Badesachen anzogen oder Schlauchboote aufpusteten.

Gegen die Blechlawine wurden Baumstämme und Steine am Straßenrand postiert, um das Parken zu vereiteln und auf wenige Parkplätze zu konzentrieren. Umso beliebter wurde die Strecke bei Radfahrern, die sich mit Fußgängern den Weg teilen müssen, weshalb viele Radler gern auf die Fahrbahn ausweichen.

Am Straßenrand erinnern immer wieder Hinweistafeln auf das schützenswerte Gebiet: „Hier wird Grundwasser für die öffentliche Trinkwasserversorgung gewonnen. Das Gelände darf nicht verunreinigt werden.“ Oder: „Aktion Blaues Wunder Berlin. Der Wannsee speist Grund- und Trinkwasser“. Am Straßenrand gibt es Krötensperren.

Harald Boback aus Britz kennt mit seinen 52 Jahren noch die „alte“ Havelchaussee. Er ist froh, dass es sie nicht mehr gibt, dass sich die Autos auf Parkplätze verteilen müssen, wie an der Lieper Bucht. Mit Frau Monika und Sohn Nico füttert er hier regelmäßig die Schwäne, erinnert sich an wilde Nächte am Ufer, „bis uns die Polizei nach Hause schickte“. Anke Reetz und Tilo Kunert, gut 20 Jahre jünger, sind aus Biesdorf mit dem Fahrrad angereist und gehören zu denen, die jetzt erst Bekanntschaft mit der Havelchaussee machen. „Wir hatten uns das hier gepflegter vorgestellt, zu viel Müll. Am Müggelsee ist es wesentlich aufgeräumter“. Beim Radfahren haben sie mit Blick auf herumliegende Baumstämme gesungen: „Im Grunewald,im Grunewald ist Holzauktion“. Schön sei es zum Radeln, und trotz der Steigungen nicht so anstrengend wie gedacht. 78 Meter hoch ist der Karlsberg, der höchste der Havelberge, auf dem der Grunewaldturm steht.

Der Blick von oben auf die Havel,sagen Ostertouristen aus Bayern, erinnere sie an die Sicht auf den Starnberger See. Im Bereich Westend, unterhalb der Stößenseebrücke, erinnert neben dem Seglerverein und dem Fischereiamt ein Schild an Laden und Imbiss „Havel Fischerei“ mit eigener Räucherei. Der Laden hat längst dicht- gemacht, aber die rührende Erinnerung an die Havelfischer ist geblieben. Fast vergessen ist, dass es gegenüber dem noch vorhandenen Filmstudio mal ein kleines Hotel gegeben hat. Ein kleines Stück Grunewald ist drüber hinweggewachsen. Die „Alte Liebe“ gegenüber dem ehemaligen Schullandheim Am Postfenn ist fest mit der Geschichte der Havelchaussee verwurzelt. Seit 40 Jahren betreibt allein die Familie Lüdicke den Restaurantpott, zu dem seit kurzem auch ein Partydampfer gehört. Vergessen ist der Winter, bei dem die Wirtsleute darauf achten mussten, dass die „Alte Liebe“ nicht einfriert. Jetzt sonnen sich die Gäste bei aufgeklapptem Sonnendeck. Angelika Lüdicke und die Stammgäste sind froh, dass die Autos nicht mehr wie früher unten am Schiff parken können.

Vor der „Alten Liebe“ stehen zwei junge Frauen. Andrea Schneider aus Friedrichshain und eine Bekannte aus Holland. „Die Havelchaussee ist wunderschön, aber es fehlt was für junge Leute, eine Beach-Bar, eine große Wiese.“

Auf Schildhorn sind sie gewesen, haben das Wirtshaus gesehen, die Schildhornbaude, sind am Waldhaus und dem Grunewaldturm vorbeigeradelt. Dort versucht Wirt Hansow, der Gastronomie neuen Schwung zu geben. Die Havelchaussee selbst sonnt sich zumindest in neuer Sympathie. Christian van Lessen

Christian van Lessen

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