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Berlin: Heimkehr nach Lichterfelde

Ernst und Heinz Remus fielen im Ersten Weltkrieg Heute liest ihre Nichte aus den Tagebüchern

Aus den Rucksäcken der Wandervögel schauen Zupfgeige und Rhabarber heraus, und über die Straßen rattert die erste Elektrische der Welt. Von den Kanzeln der Paulus- und der Garnisonskirche predigen die Pastoren mit glühender Begeisterung von Jesus mit dem Schwert, und im Schiller-Gymnasium unterrichten die Lehrer mit wilhelminischer Härte. Wie anders als heute das Leben in Groß-Lichterfelde einst aussah, beschreiben eindrücklich und unterhaltsam die Tagebücher der Apothekersöhne Ernst und Heinz Remus. Erstmals liest heute deren Nichte, die ehemalige Schauspielerin und Journalistin Ute Remus, aus den Aufzeichnungen ihrer beiden Onkel aus der Zeit zwischen 1911 bis 1916.

„Für mich ist damit nicht nur ein bewegendes Eintauchen in die eigene Familiengeschichte verbunden, sondern vor allem die Entdeckung eines spannenden Zeitdokuments“, sagt die 69-Jährige, die seit langem in der Nähe von Köln lebt. Viele Orte wie die ehemalige Preußische Hauptkadettenanstalt an der Finckensteinallee und das Haus der Familie Remus im heutigen Gardeschützenweg, früher Steglitzer Straße, spielen in den Texten eine Rolle – und Familien aus der Lichterfelder Geschichte, wie die Gustav Lilienthals, des Bruders des Flugpioniers Otto Lilienthal. Denn der junge Ernst verliebt sich in Gustavs hübsche und gebildete Tochter Ottilie, genannt „Otti“, und genießt die von humanistisch-liberalem Gedankengut geprägte Atmosphäre in dem bürgerlichen Haus.

Ernsts jüngerer Bruder Heinz, Jahrgang 1897, fängt erst 1914 an, Tagebuch zu schreiben. Seine Eintragungen sind viel stärker als die des Bruders von der damaligen Kriegsbegeisterung durchzogen. Als die Mutter zusammenbricht, nachdem Ernst schon in den ersten Wochen des Ersten Weltkriegs im Osten als vermisst gemeldet wird, wirft Heinz ihr mangelnde Vaterlandsliebe vor. Als der 19-Jährige allerdings 1916 selbst eingezogen wird, folgt auf den Begeisterungstaumel rasch die große Ernüchterung. Auch Heinz wird aus dem Krieg nie zurückkehren.

Geblieben sind die Tagebuchaufzeichnungen, die der Bruder von Ute Remus im Jahr 1992 aus dem Sütterlin und Latein transkribiert hat. Ute Remus lächelt: „Nach fast hundert Jahren ist diese Lesung fast so etwas wie eine kleine Heimkehr.“Eva Kalwa

Heute 19 Uhr. Gutshaus Lichterfelde (Carstenn-Schlösschen), Hindenburgdamm 28. Eintritt fünf Euro. Leseexemplare mit Fotos und Textauszügen kosten sieben Euro. Weitere Infos unter www.steglitz.de oder unter der Telefonnummer 7705555

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