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Berlin: Heinz Ebel, geb. 1927

Sein Schwung fiel auf. Mit leicht gespreizten Beinen stand Heinz Ebel in der Baracke, locker in den Knien, den Staubhaufen im Visier, den Besen fest im Griff.

Sein Schwung fiel auf. Mit leicht gespreizten Beinen stand Heinz Ebel in der Baracke, locker in den Knien, den Staubhaufen im Visier, den Besen fest im Griff. Der Kriegsgefangene Ebel fegte sportlich, und offenbar erinnerte der Schwung des Deutschen einen der britischen Offiziere an die eigene Leidenschaft. "Sind Sie Golfspieler?", fragte er ihn eines Tages. Ebel nickte. Der Offizier meldete den Gefangenen Ebel umgehend krank und entließ ihn nach Hause. Ein Gefallen unter Golfern sozusagen.

Hätte der Brite gewusst, wen er da nach Hause schickt - er hätte Ebel vermutlich noch einen Präsentkorb mit auf den Weg gegeben. Denn Heinz Ebel spielte nicht nur Golf, er war dem Sport verfallen, genauer: dem Golf- und Land-Club Berlin-Wannsee. 61 Jahre hat Ebel hier gearbeitet, sieben Tage in der Woche. Erst als Caddie, später als Caddie-Meister.

Ebel ist zwölf Jahre alt, als er das erste Mal bei dem Golfclub auf dem Wanseer Hügel vorstellig wird. Der Junge, der bei seiner Großmutter in Babelsberg aufwächst, ist fasziniert von der hügeligen Anlage, dem Sport, den Menschen - und der Aussicht als Caddie 2,70 Reichsmark pro Stunde zu verdienen. Schon der Kronprinz Friedrich Wilhelm hatte im Verein Anfang des Jahrhunderts seine Bälle geschlagen. Bald verbringt der Junge jede freie Minute zwischen dem Clubhaus und dem ersten Abschlag. Er vernachlässigt die Schule, macht nur widerwillig eine Lehre zum Dreher. Ewig lockt der Golfplatz.

Und deshalb fährt Ebel, als er aus dem Zweiten Weltkrieg zurückkehrt, gar nicht erst nach Hause: Er nimmt den direkten Weg "nach oben", wie die Zehlendorfer zu ihrem Golfplatz sagen - und wird zunächst einmal ernüchtert. Das Clubhaus ist zerstört. Und die leuchtend grünen Fairways liegen schlammig-braun da, die Russen hatten sie als Panzerparkplatz und Pferdewiese genutzt. Inzwischen haben die Amerikaner auf der Anlage die Regie übernommen. Die "Besatzer" meinen es gut mit dem jungen Mann. Sie geben ihm, der weder einen Zuzugsschein für Berlin, noch Lebensmittelkarten bekommt, Unterschlupf auf dem Gelände und Arbeit als Caddie.

Dass ein Trainer, Platzwart oder Caddie-Meister ins Clubhaus schlendert und sich unter Golfern am so genannten 19. Loch, der Bar, niederlässt, gilt in den meisten deutschen Vereinen auch heute noch als verpönt. Das Personal, so will es der Dünkel, hat angemessene Distanz zu halten. Doch mit den Amerikanern zieht ein anderer Geist ein. Nicht nur an der Bar ist Ebel gern gesehen, auch bei den Spielern zu Hause. "Das war das erste Mal in meinem Leben, dass ich Pute gegessen habe, noch dazu mit Marmelade", sagt Regine Ebel.

Bei einem Tanzabend lernt Ebel 1949 seine Frau kennen. Fünf Jahre später heiratet das Paar, später bekommt es Zwillinge. Wenn im Golfclub Turniere gespielt werden, braucht Ebel jeden Caddie, den er kriegen kann - auch seine Söhne. Als sie acht Jahre alt sind, setzt er sie zum ersten Mal ein. Zwillinge, eineiig, aber uneins: Thomas gefällt der Job, er wird ein begeisterter Golfer. Für Christian bleibt das Taschenschleppen "immer ein Horror". Ebel, das sagt ein früherer Caddie, führt ein strenges Regiment: "Jetzt gehste mit dem mit! Solange Du nichts davon verstehst, halt den Mund! Bleib an seiner Seite, mach Dich nützlich!"

Damals hatte sich Ebel schon lange aus dem 150-köpfigen Caddie-Pool hochgearbeitet, ist inzwischen zum Caddie-Meister aufgestiegen und "residiert" in einer kleinen Gartenvilla, die der Verein einst einer prominenten Golferin vermacht hatte. "Heinz-Haus", nennen es jetzt die Amerikaner. Hier - zwischen Clubhaus, Driving Range und erstem Abschlag - organisiert Ebel die Einsätze seiner Caddies, gibt Leihschläger aus, nimmt kleinere Reparaturen entgegen, putzt Schläger und Schuhe. Der Mann fehlt nie. Als sich die Amerikaner während eines besonders harten Winters am dritten Abschlag einen Lift bauen, schult Ebel um: Er verleiht jetzt Schier.

Vergilbte Fotos zeigen den jungen Ebel beim Putten auf dem Grün, Ebel lächelnd auf der Terrasse. Ein gutaussehender Bursche mit nettem Lachen. Ein stiller, verschlossener Charakter. Absolut diskret, aber manchmal entlarvt er mit einer einzigen Bemerkung die Blender im Verein. In frühen Jahren schlägt Ebel nach der Arbeit noch ein paar Bälle. Zu einem großen Golfspieler bringt er es nie, irgendwann gibt er das Spielen ganz auf. "Er hatte dazu gar keine Zeit", sagt seine Witwe. Ebel wird im Verein zu einer Art Institution. Er kennt jeden Spieler, jede Tasche, jeden Schläger, jedes Paar Schuhe... Nur ein Job? Nein, seine Passion, sagt Regine Ebel. "Es gab für ihn absolut nichts anderes."

Mit den deutschen Golfern zeigen die Amerikaner 1950 ein Einsehen: Der Club erhält die neun von den Amerikanern ungenutzten Löcher zurück. Aber auch "oben" wird nicht nur englisch gesprochen: Anfang der 90er Jahre halten sich Berliner und Amerikaner im Verein die Waage. Als sich nach dem Abzug der Alliierten beide Clubs wieder zusammenschließen, ist es "oben" mit dem lockeren "American way of life" vorbei. Der neue Geschäftsführer soll sparen, er kündigt Ebel - knickt aber nach einem empörten Aufschrei der Spieler wieder ein.

Doch dem Meister sind im Laufe der Jahre die Caddies abhanden gekommen. Die Bags schieben die Spieler inzwischen selbst auf Rollen durch die Landschaft, manche Taschen treiben elektrische Motoren an. Die neuen Clubherren siedeln Ebel schließlich in ein neues Caddie-Haus um, ein schmuckes Ding, aber weit weg vom Schuss. "Der ständige Kontakt mit den Spielern hat ihm am meisten gefehlt." Als Ebel 65 wird, denkt er trotzdem nicht an Ruhestand. Jeden Tag fährt ihn Regine Ebel morgens zur Arbeit, jeden Abend holt sie ihn ab - und sagt zu einem Freund: "Wenn er nicht mehr auf dem Golfplatz geht, ist auch sein Leben zu Ende."

Das Ende kündigt sich im letzten Winterurlaub an. Der 73-Jährige hustet schwer, fiebert, die Ärzte entdecken Krebs. "Ich möchte eines Tages am Loch 18 umfallen und von dort direkt in den Himmel aufzusteigen", hat der Caddie früher oft gesagt. Es war ein Scherz, aber nach der Diagnose kehrt Heinz Ebel nie mehr zurück - "nach oben", auf seinen Golfplatz.

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