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Berlin: Heirat, Scheidung – und dannleben

Sie sagt, es gebe einen Trend. Türkische Mädchen der dritten, vierten Einwanderergeneration hätten einen Trick entdeckt, die Ehre der Familie nicht zu beschädigen und später doch frei leben zu können.

Von Susanne Leimstoll

Sie sagt, es gebe einen Trend. Türkische Mädchen der dritten, vierten Einwanderergeneration hätten einen Trick entdeckt, die Ehre der Familie nicht zu beschädigen und später doch frei leben zu können. Sie ließen sich verheiraten und schon nach einem Jahr wieder scheiden. Dann ist der Anspruch, die Tochter müsse jungfräulich in die Ehe gehen, erfüllt. Und eine Geschiedene kann später machen, was sie will: allein wohnen, wechselnde Freunde haben, tanzen gehen – selbstbestimmt leben. Evrim Baba, frauenpolitische Sprecherin der PDS-Fraktion im Abgeordnetenhaus, beobachtet diese Tendenz in Berlin seit ein paar Jahren. „Ich weiß, dass es so ist. Ich komme aus diesem Kulturkreis und bewege mich in der Community“, sagt sie.

Dass junge Türkinnen diese Lösung wählen, überrascht Baba nicht. Zwangsheirat und arrangierte Ehe seien Alltag – nicht nur in konservativ-religiösen Familien. „In den so genannten liberalen, integrierten türkischen Familien läuft in den vier Wänden etwas ganz anderes ab.“ Die Mädchen dürften keinen Freund haben, keine sexuellen Erfahrungen sammeln. „Ich kenne Frauen, die bis 30 Jungfrau sind. So lange müssen die dann bei ihren Eltern leben.“

Die türkische Ehre hängt unter anderem davon ab, dass Töchter jungfräulich in die Ehe gehen. „Derzeit gibt es sogar so eine Art Rückbesinnung“, sagt Evrim Baba. „Man braucht sich nur in den Schulen umzuhören: Die meisten türkischen Jungs wollen eine Frau, die Jungfrau ist. Deshalb werden auch wieder mehr junge Frauen aus Anatolien hierher geholt. Die sind gefügig und eben unberührt.“ Die Braut, sagt Baba, müsse nicht wohlhabend sein. „Die meisten sind arm. Es geht um den gesellschaftlich-moralischen Aspekt. Aber was ist das für eine Ehre, die von einem Jungfernhäutchen abhängt?“ Die PDS-Politikerin setzt mit Aufklärung dagegen. „Ich möchte offen über dieses Tabu sprechen“, sagt sie. Ihr Ansatz: an den Schulen bei jungen Türken Überzeugungsarbeit leisten. „Die machen doch, was die Familie ihnen vorlebt. Diese jungen Männer müssen unser Ansatzpunkt sein.“

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