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© Ecopix/Jürgen Heinrich

Heizkraftwerk Lichterfelde: Ungetüm im Umbau

Das Heizkraftwerk Lichterfelde erhält ein neues Maschinenhaus mit Gas- und Dampfturbine. Die markanten alten Schlote fallen.

Sogar ein bisschen Wehmut kommt auf in Lichterfelde wegen des baldigen Abschieds vom dunkelbraun verkleideten Monstrum mit seinen drei Schloten. „Man weiß auf der Autobahn immer, wo es nach Hause geht“, sagt ein älterer Mann beim Blick auf das Heizkraftwerk im Miniformat im Besucherzentrum des Versorgers Vattenfall. Nebenan ragen die Schornsteine des echten Werks 160 Meter in den Himmel – ein Blickfang im Süden Berlins und für die Lichterfelder mittlerweile fast ein kleines Wahrzeichen. Mit dem Modell drinnen zeigt Vattenfall den Anwohnern anschaulich, was sich in den nächsten Jahren alles ändert. Bis 2015 soll hinter den drei Kühltürmen, von denen einer abgerissen wird, ein neues Maschinenhaus mit einer Gas- und einer Dampfturbine entstehen und direkt am Teltowkanal ein Kesselhaus mit Heißwassererzeuger, das bei Ausfällen zur Notversorgung dient. Die Türme der neuen Anlage sind nur noch 98 Meter hoch. Die Herrschaften im Besucherzentrum denken plötzlich an die Falken, die in den Schornsteinen regelmäßig Nester bauen und manchmal so majestätisch durch die Lüfte kreisen. Man achte sicherlich darauf, dass während der Abrissarbeiten ab 2015 keine Vögel im alten Werk brüten, sagt Anja Lehmann, die die Bürger im Auftrag des Stromriesen empfängt.

Seit den frühen siebziger Jahren ist das Kraftwerk in Betrieb. Befeuert wurde es zunächst mit Öl, das Kähne über den Kanal heranschipperten. Seit 1998 ist das Werk komplett auf Strom- und Wärmegewinnung aus Erdgas umgestellt, was für die Anwohner ein erträgliches Maß an Schmutz und Lärm bedeutet. Nur das Einlaufbauwerk am Kanal brumme recht laut, sagt Hans-Georg Moll, der auf der gegenüberliegenden Uferseite wohnt. „Das Werk ist vor allem eine optische Belastung“, so Moll, der seit 34 Jahren unweit des Ungetüms wohnt. Anfangs seien Nachbarn wegen des Kraftwerks weggezogen; mittlerweile hätten sich die Anwohner damit arrangiert. Vattenfall versichert, dass sich die Belastung auch künftig im gewohnten Rahmen halte.

Nach 40 Jahren Laufzeit soll künftig alles effizienter werden, verspricht Vattenfall. Dank Kraft-Wärme-Kopplung und Turbinen einer neuen Generation könne künftig eine Brennstoffausnutzung von bis zu 90 Prozent erzielt werden, rechnet Mitarbeiterin Sarah Geiger vor. Bislang habe man in Lichterfelde lediglich 70 Prozent erreicht. Die thermische Leistung soll nach dem Neubau wie bisher 230 Megawatt betragen. Damit können 70 000 bis 100 000 Haushalte mit Wärme versorgt werden. In der Stromerzeugung sinkt die Leistung von 450 bisher auf 300 Megawatt. Mehr benötige man künftig nicht, so Geiger. Auf Basis regenerativer Energien sei eine zuverlässige und preisgünstige Versorgung der Bevölkerung derzeit noch nicht möglich, heißt es bei Vattenfall. Darum habe man sich für ein neues Gas- und Dampfturbinen-Heizkraftwerk entschieden. Das Ausweichen auf einen Standort außerhalb der Stadt habe man nicht ernsthaft erwogen, berichtet Geiger. Man wolle die bestehenden Leitungen und Kühltürme weiter nutzen. Die Baugenehmigung hat der Konzern nach eigenen Angaben im Februar beantragt. Man rechne damit, dass die Genehmigung nach Bürgerbeteiligung Ende des Jahres vorliegt, sagt Geiger. Im kommenden Jahr sollen die Bagger anrollen.

Der Neubau in Lichterfelde ist eine von drei Maßnahmen, durch die Vattenfall die im Oktober 2009 unterzeichnete Klimaschutzvereinbarung mit dem Senat erfüllen will. Der Energieversorger hat sich verpflichtet, den Kohlendioxidausstoß von 13 Millionen Tonnen jährlich bis 2020 mindestens zu halbieren. Insgesamt 1,5 Milliarden Euro investiere das Unternehmen in den Neubau der Kraftwerke Lichterfelde, Klingenberg und Lichtenberg, berichtet Firmensprecher Hannes Hönemann – etwa ein Fünftel davon in Lichterfelde. Wie hoch der Schadstoffausstoß in den einzelnen Werken ist und in welchem Umfang er reduziert werden soll, verrät Vattenfall nicht. Der mit Abstand größte Batzen entfällt aber sicherlich auf das Werk Klingenberg in Rummelsburg, wo derzeit noch Braunkohle verfeuert wird. Dort wird ebenfalls auf Erdgas umgerüstet, zusätzlich sollen zwei Biomassekraftwerke entstehen. Zeitlich aber ist Lichterfelde das erste Projekt. Das neue Werk in Rummelsburg soll 2017 ans Netz gehen, jenes in Lichtenberg ein Jahr später.

Anders als in der Vergangenheit versucht der Energiekonzern, die Bürger mit ins Boot zu holen. „Wir wollen aktiv auf die Leute zugehen“, sagt Hönemann. Das Ende März eröffnete Bürgerzentrum ist dazu ein erster Schritt. Außer der Betrachtung des Modells können die Anwohner Informationen über Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft des Kraftwerks von einem blauen Band ablesen, das sich quer durch den Raum schlängelt. Ihre Frage können sie direkt an Vattenfall-Mitarbeiter richten. Alles in allem sei das Kraftwerk schon ein Ärgernis, berichten zwei Ehepaare aus Giesensdorf. Vor allem im Winter raubten die Riesenschlote Sonne. „Aber manchmal hängt sich der Mond zwischen den Türmen auf“, sagt eine Frau. Ein durchaus romantischer Anblick, der sich nur noch ein paar Jahre lang bietet.

Das Besucherzentrum, Ostpreußendamm 61, ist dienstags von 9 bis 18 Uhr und donnerstags von 12 bis 20 Uhr geöffnet. Für Fragen zum Neubau in Lichterfelde eignet sich auch das Bürgertelefon: montags bis freitags von 7 bis 19 Uhr unter 267-41 444.

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