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Berlin: Helfer mit beschränkter Hoffnung

Wolfgang Lindhorst ist Fallmanager im Jobcenter. Er soll Langzeitarbeitslose in feste Stellen vermitteln. Eine fast aussichtslose Mission

Neben Wolfgang Lindhorsts Schreibtisch sitzt Mahmoud A. Er bringt eine gute Nachricht mit, man hört den Stolz in seiner Stimme. „Es hat geklappt“, sagt er und legt Lindhorst einen Brief hin. Eine Wachschutz-Firma schreibt, sie wolle den jungen Mann einstellen, sobald er die Sachkundeprüfung bei der Industrie- und Handelskammer abgelegt hat.

„Toll“, sagt Lindhorst. Er sieht sehr zufrieden aus, weil solche Neuigkeiten in der Hartz-IV-Welt des Neuköllner Jobcenters alles andere als alltäglich sind. Die leisen Bedenken, die er noch hat, verbirgt er, um dem jungen Mann nicht die Hoffnung zu nehmen. Unnötigerweise vielleicht. Der 24-Jährige hat im Gefängnis gesessen. Es könnte sein, dass die Kammer ihn deshalb nicht für die Arbeit in einer Sicherheitsfirma ausbilden will. Lindhorst wartet noch auf den Bescheid.

Er selbst hat sich entschieden, „die Sache positiv zu sehen“. Was soll er sonst tun? Er ist Fallmanager in einem der größten Jobcenter Deutschlands, zuständig für Langzeitarbeitslose, die jünger sind als 25 Jahre. Einer von rund 250 Fallmanagern, die bisher in Berlin ausgebildet wurden. Lindhorst muss nicht nur nach freien Stellen suchen, er soll die Jugendlichen betreuen. „Ganzheitlich“, wie es im Agenturjargon heißt. Der Fallmanager soll herausfinden, warum jemand jahrelang ohne Job ist, und die Gründe beseitigen helfen. In Neukölln sind die Gründe meistens Drogensucht, Schulden, zerrüttete Familien, Probleme mit der Wohnung. Lindhorst soll eine Art Herkules der Arbeitsagentur sein.

So jemand kann einen jungen Menschen nicht wegen ein paar Monaten Haft verloren geben. Außerdem hat der Fallmanager noch ganz andere Fälle in seiner Kundenkartei. Nur abrufen kann er sie im Moment nicht. Das zentrale Computerprogramm der Bundesagentur ist mal wieder abgestürzt. Also sitzt Lindhorst in seinem Büro, in dem alles mausgrau ist – Regale, Schreibtisch, Fußboden – und beginnt jedes Beratungsgespräch an diesem Vormittag mit dem gleichen Spruch: „Tut mit Leid, Sie müssen in der nächsten Woche noch mal kommen. Ich kann Sie heute nicht in dem Umfang beraten wie sonst. Eine Computerpanne.“

Auf den Ordnerrücken in den Regalen stehen Schlagworte wie ABM, Jobaktiv, Vermittlungsoffensive. Das klingt nach Tatkraft. Doch trotz aller Aktivität hat Lindhorst heute wieder nur vier freie Stellen reinbekommen: Ein Maler wird gesucht, ein Monteur, eine Verkaufshilfe und jemand für den Service in einer Gaststätte. Die Stellen sind in allen zwölf Berliner Jobcentern ausgeschrieben. Als Herr Özdemir zum Termin erscheint, Punkt elf, sind sie vermutlich schon vergeben.

Herr Özdemir ist 24, hat früh geheiratet, eine kleine Tochter und weder Schulabschluss noch Ausbildung. Der drahtige Mann, der in Wirklichkeit anders heißt, sitzt in T-Shirt und Jeans vor Lindhorst und nuschelt schüchtern in sein Oberlippenbärtchen. Um die 20 Bewerbungen habe er geschrieben im Juli. Er legt ein Formblatt auf den Tisch, alle „Bewerbungsbemühungen“ sind aufgelistet: Betrieb, Ansprechpartner, Datum, Ergebnis. Lindhorst nickt zustimmend.

„Da ist noch was“, sagt Herr Özdemir zögerlich. Er will mit Frau und Tochter die Schwiegereltern in der Türkei besuchen. Lindhorst macht ein strenges Gesicht. „Die Arbeitssuche hat absoluten Vorrang. Außerdem: Woher haben Sie das Geld?“ – „Die Schwester meiner Frau gibt uns was.“ – „Bekommen Sie auch sonst Geld von Ihrer Familie?“ – „Nein.“ Lindhorst sagt: „Wir müssen das prüfen. Sie bekommen sonst weniger Beihilfe.“ Dann stellt er ein paar Fallmanager-Fragen: Bleiben Sie dran? Suchen Sie weiter selbst nach Stellen? Haben Sie neue Unternehmen rausgesucht? Sind Sie regelmäßig im Computerpool im Erdgeschoss?

Nach zehn Minuten ist Herr Özdemir wieder fort, und Lindhorst sagt: „Ist doch ganz gut gelaufen.“ Der Kunde habe sich an die Abmachung gehalten, siehe Formzettel. „Und er vertraut uns, sonst hätte er nicht den Urlaub angesprochen. Er wäre einfach gefahren.“

So also sehen Lindhorsts Erfolge aus. Er zerstückelt seine Arbeit in kleinste Einheiten, damit er überhaupt Fortschritte sieht. „Anders“, sagt er, „kann man den Job nicht machen. Dass man jemanden in den ersten Arbeitsmarkt vermittelt, ist doch wie ein Sechser im Lotto.“ Ein Erfolg ist es auch, wenn einer plötzlich kommt und sagt, er habe jetzt Frau und Kind und wolle Verantwortung übernehmen. Wie Mahmoud A. heute morgen.

Dann kann es passieren, dass Wolfgang Lindhorst, 55, seine kumpelhafte Seite zeigt. Er hat sich schon um Jugendliche gekümmert, als er noch Arbeitsvermittler war. Zum Fallmanager wurde er in einem Zwei-Wochen-Lehrgang. Dann sollten er und die Kollegen fit sein für die Arbeitsmarktreform. Doch die Jobcenter wurden von Hartz IV überrollt. Kaum eines hat die Betreuungsquote nur annähernd erreicht. Geplant war, dass ein Fallmanager entweder 75 Jugendliche oder 150 Arbeitslose über 25 Jahre betreut. Zwar kommen immer neue Fallmanager. Leute von der Bahn oder der Bundesversicherungsanstalt. Aber vom Arbeitsmarkt verstehen sie so viel wie von der Orchideenzucht.

Früher war Lindhorst in einem Kosmetikkonzern Leiter der Qualitätskontrolle. Jetzt ist er Manager einer öffentlichen Gesellschaft mit beschränkter Macht. Zehn Langzeitarbeitslose hat er bisher vermittelt, in Ein-Euro-Jobs oder befristete Stellen. In Berlin gibt es 326151 Menschen, die Arbeit suchen und 21880 offene Stellen.

Lindhorsts schärfste Waffe gegen Faulheit ist die Eingliederungsvereinbarung: ein Vertrag, in dem festgeschrieben ist, was ein Arbeitsloser unternehmen muss. Wer sich nicht daran hält, dem kann er für drei Monate das Geld kürzen oder streichen. Wie der hübschen Frau neulich. Sie ließ jeden Termin sausen. Sie beschwerte sich nicht, als sie kein Geld mehr bekam. Irgendwann traf er sie auf der Straße: teuer gekleidet, ein perfekter Auftritt.

Solche Geschichten sind es, deretwegen Wolfgang Lindhorst außer Mitleid auch „viel Wut mit nach Hause nimmt“. Er braucht immer mehr Abstand. Er geht jetzt jeden zweiten Tag ins Fitnessstudio. „Es ist das Einzige, was hilft“, sagt er.

Marc Neller

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