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© ddp

Helmut Kohl: Mit ruhiger Hand und großer Geste

Berlins Ehrenbürger Kohl wird 80. Für seine Hauptstadt tat er viel, das Verhältnis zu den Berlinern aber war nicht immer ungetrübt.

Das Verhältnis war zunächst etwas kompliziert. Helmut Kohl, der Bundeskanzler, wollte den West-Berlinern ein Museum schenken, ein Geschichtsmuseum. Das war 1987, Berlin hatte 750. Geburtstag, und es gab für das Museum zwar schon einen von Kohl gewünschten Standort – gegenüber dem Reichstag –, aber noch keinen Architektenentwurf. Dafür gab es in der öffentlichen Meinung einen Menge Vorbehalte gegen das geschenkte Museum. Die hatten mit vielerlei Nationalismus-Befürchtungen zu tun, mit angeblich zu befürchtender Deutschtümelei im geteilten Berlin.

So übergab Kanzler Kohl der Stadt Berlin bloß eine Steintafel, die den Ort des zu errichtenden Museums markierte, und ließ sie in Sichtweite des Reichstags in den Reichstagsrasen versenken. Die Steintafel war eine Art Gutschein für ein Museum. Wegen der Vorbehalte gegen das Projekt wurde die Tafel zunächst von einem Wachmann gesichert. Der stand also im damals noch stillen Tiergarten, sozusagen am Rand West-Berlins, blickte auf den selten genutzten, eingestaubten Reichstag und dürfte zu den einsamsten Menschen in der Stadt gehört haben.

So war das noch zwei Jahre vor dem ungeahnten Untergang der DDR mitsamt der Mauer: West-Berlin war für den gelernten Historiker Helmut Kohl symbolpolitisch wichtig und voller Bedeutung, daher auch finanziell zu pflegen. Aber politisch, innenpolitisch zumal, dürfte ihn die Stadt damals nicht weiter interessiert haben. Der Regierende Bürgermeister Eberhard Diepgen? Ein Parteifreund, der sich ungern in die Bundespolitik einmischte. Diepgens Berliner CDU? Für den Parteipolitiker und Machtmenschen Kohl neben den massigen westdeutschen Landesverbänden ein Leichtgewicht.

Aber dann: Geschichte wurde gemacht. Und der schwere Mann aus der Pfalz, die personifizierte Biederkeit, hat sich der ungeteilten Stadt regelrecht eingeschrieben. Helmut Kohl, Kanzler der Einheit, hat in Berlin Baupolitik entschieden. Er hat, wie das Politiker manchmal machen, wenn sie nicht mehr zu bremsen sind, fachliche und ästhetische Fragen zum Politikum erklärt und entschieden.

Von Kaiser Wilhelm II. weiß man, dass er kraft eigener Herrlichkeit am Reichstag oder Berliner Dom mitgebaut hat. Helmut Kohl verfuhr bei gleich vier Bauvorhaben ähnlich. Das wichtigste ist, logisch, das Kanzleramt. Kohls Freude am Baugeschehen und sein Interesse daran, mit dem Architekten Axel Schultes Einzelheiten der Planung, sagen wir: durchzusprechen, waren, wie es heißt, groß. Das Ergebnis? Schultes’ Siegerentwurf ist nie ganz Wirklichkeit geworden. Das Kanzleramt steht mächtig im Spreebogen – zum Glück, könnte man sagen, gibt es gegenüber, der Machtbalance wegen, noch den ReichsSchrägstrich-Bundestag.

Machtpolitisch nicht minder aussagestark ist die CDU-Zentrale an der Hofjägerallee, das Konrad-Adenauer-Haus. Man kann die oft bemühte Schiffsmetaphorik auf dem Trockenen lassen. Wichtiger ist, dass das Gebäude auffällt und mit einer Reihe auffälliger Gebäude bis hin zur mexikanischen Botschaft ein paar hundert Meter weiter an der Hofjägerallee architektonisch locker konkurrieren kann. Noch wichtiger in einer Stadt, in der jeder Steuerzahler gebraucht wird: Kohl holte mit der Parteizentrale auch Arbeitsplätze samt Personal und Familien.

Was die deutsche Geschichte anbelangt, blieb der Kanzler dabei, sich architektonische Kompetenz zuzutrauen. Das DHM, inzwischen im Zeughaus untergebracht und zu einem schönen und interessanten Museum entwickelt, sollte mit einem Erweiterungsbau versehen werden – Kohl höchstselbst, so liest man, habe entschieden, dass das Büro I.M.Pei den Bau entwerfen möge; auch das ein Gewinn für die Stadt.

Die stadtgestaltende Kanzler-Entscheidung Nummer vier allerdings dürfte wohl immer umstritten bleiben: In der Neuen Wache Unter den Linden befindet sich nun ein Mahnmal nationaler Trauer, das viele für verunglückt halten - eine Art Riesen-Pieta nach einer Plastik der Bildhauerin Käthe Kollwitz. Die Mutter, die ihren toten Sohn auf dem Schoß hält und von jeder Kraft verlassen wirkt, wurde für die Neue Wache auf Fast-Lebensgröße gebracht, „aufgeblasen“, sagen manche. Das lässt die Figur pompös erscheinen.

Aufgeblasen und pompös muss der Politiker Kohl auch auf ein West-Berliner Publikum gewirkt haben, das ihn am 10. November 1989 vor dem Schöneberger Rathaus auspfiff, als er die Einheit feiern wollte. Wohlgemerkt: Es war der Tag nach der Maueröffnung.

Kohl, Willy Brandt, Hans-Dietrich Genscher auf dem Rathaus-Balkon, Berlin im Zentrum der großen Politik – doch der Kanzler und die West-Berliner waren sich, vorsichtig gesagt, furchtbar fremd an diesem seltsamen Abend. Kohl und Willy Brandt verband mehr als den Kanzler und die Großstadtbewohner, die doch am ehesten hätten erkennen müssen, was in diesem November geschah. Da redete der Bundeskanzler an dem Ort, den John F. Kennedy mit seinem Bekenntnis zur Freiheit berühmt gemacht hatte, er blinzelte wohl, wie er es immer machte, wenn er unruhig war, vielfach mit den Augenlidern klappernd, ins Schweinwerferlicht auf die Tausenden, die sich vor dem Schöneberger Rathaus versammelt hatten, Brandt und Walter Momper, der Regierende Bürgermeister – und wurde gnadenlos ausgepfiffen. Von einem „linken Pöbel“ schimpfte er später.

Auch bei seinen Parteifreunden machte er sich nicht beliebter, als er nach der Wiedervereinigung trotz wiederholter Kritik des Regierenden Bürgermeisters Diepgen zuließ, dass die Berlin-Subvention so schnell heruntergefahren wurde, dass Berlin ins Schuldenloch taumelte. Nach dem Untergang des Diepgen-Senats in der Bankenaffäre 2000 versuchte Kohl überdies, die Landespolitik zu beeinflussen. Bei der Suche nach einem CDU-Spitzenkandidaten redete Kohl angeblich entschieden mit: Er votierte für Frank Steffel und gegen Wolfgang Schäuble – wobei die Kraft seines Votums umstritten bleibt. Damals hieß es in der Berliner CDU, Kohls Votum sei nicht entscheidend gewesen. Heute schreiben seine Biographen Hans-Joachim Noack und Wolfgang Bickerich, Kohl habe Steffel „ins Spiel“ gebracht, um Angela Merkel und deren Lieblingskandidaten Schäuble zu schaden.

Die Stadt jedenfalls hat längst ihren Frieden mit Kohl und diesen zum Ehrenbürger gemacht. Als er noch bei Kräften war, sah man ihn, wie er samt Begleitung aus dem Aquarium am Zoo kam, offenbar einem seiner Lieblingsorte in Berlin. Als er, lange nach der Spendenaffäre, in seiner Partei wieder gelitten war, sah und hörte man ihn etwa vor der Europawahl 2004, wie er, durch „die Geschichte“ mäandernd und die Leute bei ihren Gefühlen packend, für die CDU wahlkämpfte, längst ein Monument seiner selbst.

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