zum Hauptinhalt
303889_0_69a45732.jpg

© ddp

Herta Müller: Und wieder Friedenau

Herta Müller wohnt, wo einst Günter Grass lebte. Jetzt feiert man den zweiten Literatur-Nobelpreis.

Das hätten sich die Bewohner und Nachbarn des hochherrschaftlichen Hauses an der Menzelstraße in Friedenau noch am Donnerstag um die Mittagszeit nicht träumen lassen. Da ging es in ihrer Seitenstraße noch recht beschaulich zu, nur ab und an zwitscherte ein Vogel, lief ein Fußgänger vorbei. Doch am frühen Nachmittag kam die Nachricht, dass die Berlinerin Herta Müller den Literatur-Nobelpreis erhält. Wenig später hatte sich die Weltpresse in der Menzelstraße versammelt.

Kamerateams und Journalisten drängelten sich vor dem mehrstöckigen Wohnhaus mit Klinkersteinen, gotischen Bögen, blumengeschmückten Balkonen, mit gepflegtem Vorgarten. In dieser bürgerlichen Idylle ist die Autorin zu Hause, die in ihrem neuesten Roman „Atemschaukel“ die Zwangsdeportation von Rumäniendeutschen in die sowjetische Ukraine nach 1945 beschreibt. Aber die Geehrte lässt sich noch nicht sehen. Also werden die Nachbarn befragt und die Zahnärzte im Erdgeschoss, die Herta Müller natürlich kennen und auch stolz sind auf den Ruhm, der nun nach Friedenau kommt. Aber gerade auch ein bisschen genervt von den vielen Menschen mit Kameras und Schreibblöcken.

Friedenau gilt ja schon traditionell als Ort der Dichter. Hier lebten schon in den zwanziger Jahren populäre Autoren wie Erich Kästner und später in den 60er bis 90er Jahren beispielsweise Uwe Johnson und Günter Grass.

„Krass. Nobelpreis? Das ist ja cool, wir wussten schon immer, dass Friedenau toll ist“, freuen sich die 14- und 15-jährigen Schülerinnen Katja Grand und Olivia Krumrey, die Donnerstagnachmittag auf dem Heimweg von der Schule sind, Katja wohnt hier gleich um die Ecke. 1999 wurde Günter Grass geehrt, da war der Literat gerade erst aus Friedenau weggezogen – und jetzt Herta Müller: Schon zwei Ehrungen für Menschen aus Friedenau. „Grass hat vor den Sommerferien bei uns am Paul-Natorp-Gymnasium gesprochen, bei der 100-Jahr-Feier“, sagen Katja Grand und Olivia Krumrey. Grass’ Kinder hatten dort den Unterricht besucht, zwei Enkel gehen auf die Schule.

Kurz nach 16 Uhr surren die Kameras vor Herta Müllers Haus, Fotografen stürzen zum Eingang, andere die Treppe innen herunter. Die kleine, zierliche Person, ganz in Schwarz mit dunklen Haaren, schafft es gerade, sich den Weg durch die Menge zu bahnen. Sie tritt auf die Straße und versucht, in ein Taxi zu steigen. Fragen prasseln auf sie ein, eine Reporterin drückt ihrBlumen in die Hand.

Haben Sie mit der Ehrung gerechnet? Sie besinnt sich kurz. „Nein.“ Wie werden Sie feiern? „Das weiß ich noch nicht.“ Alles ist doch noch etwas überraschend. Die 56-Jährige verschafft sich mit den Armen ein wenig Raum und bittet um Verständnis. Sie muss ganz schnell zur Pressekonferenz.

Indes hat sich die Nachricht schon beim Landesverband Berlin der Banater Schwaben herumgesprochen. Herta Müller stammt als Rumäniendeutsche aus deren Heimatland. „Klar, wir sind sehr stolz, dass eine Banater Schwäbin eine solche hohe Ehrung erhält,“ sagt Verbandsvorsitzender Ernst Meinhardt. Und das, obwohl vor allem ihre ersten Veröffentlichungen, die im Kreise der Rumäniendeutschen spielen, von vielen Mitgliedern „nicht nur mit Begeisterung“ aufgenommen worden seien. Überrascht und „hocherfreut“ ist auch Sabine Büdel vom Literaturhaus in der Fasanenstraße. Erst kürzlich, am 22. September, war Herta Müller dort zu einer Lesung ihrer „Atemschaukel“ eingeladen. „Es war rappelvoll“, erinnert sich Sabine Bündel. „Aber es hat wohl noch niemand geahnt, dass wir der nächsten Literatur-Nobelpreisträgerin zuhören.“ kög/cs

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false