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Berlin: Heute an morgen denken

Beim ersten Werkstattgespräch filetierten Experten das „Stadtentwicklungskonzept 2030“ des Senats.

110 Berliner hatte Stadtentwicklungssenator Michael Müller (SPD) am Freitagabend ins Technikmuseum gebeten, um über Berlins Zukunft sprechen. Die Auswahl jener, die das „Stadtentwicklungskonzept 2030“ diskutierten, war denkbar breit gefächert. Vom Landessportbundchef über den Investitionsbankvorstand, vom Elternbeirat bis zum Erzbischof – so ziemlich jeder nur denkbare Interessenvertreter, Lobbyist oder Aktivist war vertreten und erörterte in drei nach Interessenlage besetzten Gruppen Müllers ersten Entwurf einer 140 Seiten starken Bestandsaufnahme der Stadt, deren Zustand und Perspektiven in Hinblick auf Wirtschaft, Soziales und Lebensqualität.

Es erwies sich als kluger Zug von Müller, dass er die Wortführer möglichst breit gefächerter gesellschaftlicher Gruppen gleichsam dazu eingeladen hatte, die Leitgedanken zur Stadtentwicklung mit seiner Verwaltung gemeinsam zu entwickeln. Denn nichts Geringeres als ein ressortübergreifender Leitfaden für die Zukunft der Stadt ist da in Arbeit, der im kommenden Jahr auch im Senat beschlossen werden soll. Da schadet ein möglichst breiter Konsens gewiss nicht.

Der große Plan soll auch eine Antwort darauf geben, wie Berlins starke Zunahme an Bevölkerung und der zwar zarte, aber stetige wirtschaftliche Aufschwung gelenkt werden können. Die Zahlen sind bekannt: Im vergangenen Jahr kamen 40 000 Neuberliner in die Stadt; von 254 000 zusätzlichen Menschen geht die Verwaltung bis zum Jahr 2030 aus. Dem steht, wie Reiner Nagel aus der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung zeigte, eine Wirtschaftskraft unter dem deutschen Durchschnitt gegenüber mit einem Bruttoinlandprodukt pro Kopf, das gerade die Hälfte der Münchener Werte erreicht.

Die Arbeitsgruppen nach den eröffnenden Beiträgen zeigten, dass sich die knappen Ressourcen bis hinein in die Landesfirmen auswirken. Charité-Chef Karl Max Einhäupl, der von einer Aufsichtsratssitzung ins Technikmuseum geeilt war, klagte, „dass es kein Geld gibt“ in Berlin. Wie aber soll der Wirtschaftskreislauf etwas abwerfen, wenn keine Mittel da sind, um erst mal „vorne etwas reinzustecken“? Das Wort eines „desolaten Zustands“ sei gar gefallen, so Christian Wiesenhütter von der Industrie- und Handelskammer über seine Arbeitsgruppe.

Zwei Tische weiter beklagte eine Dame der Aktivisten „Stadt neu Denken“ die Abschottung gesellschaftlicher Gruppen, die „Ghettoisierung“. Ein Herr vom Landessenioren-Beirat plädierte dafür, die vielen Neuberliner nicht nur „quantitativ zu betrachten“, sondern auch deren Bedürfnisse abzufragen und diese in die Stadtplanung einzubringen. Linken-Stadtentwicklungsexpertin und Ex-Umweltsenatorin Katrin Lompscher beklagte, dass das „Soziale versteckt“ sei in der Analyse des Senats, dabei habe Berlin eine breitere „Unterschicht“ als andere Städte.

Eine „gute Stufe der Faktensammlung“ lobte Ex-Stadtentwicklungssenator Volker Hassemer (CDU) die Werkstatt, die an die Idee seines eigenen „Stadtforums“vor 20 Jahren anknüpft. Und, als er Grünen-Fraktionschefin Antje Kapek erkannte, rief er ihr mit einem schwungvollen Handschlag entschuldigend zu: „Hatte Sie auch für eine Journalistin gehalten.“ Worauf Kapek schulterzuckend entgegnete: „Nein, ich kann nicht schreiben.“ Ebenfalls wortstark im Wirtschaftskreis: Franziska Eichstädt-Bohlig (Grüne), die jüngst in den erlauchten Kreis der „Stadtältesten Berlins“ gewählt wurde. Einzelhandelschef Nils Busch-Petersen unterstrich am Beispiel der sterbenden kleinen Buchläden die Gefahr, dass der Wohnungsbaurausch die Vielfalt in den Kiezen gefährde. Ralf Schönball

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