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Berlin: „Hier bleibe ich immer ein arabischer Junge“

Er ist Deutscher, macht Abi, engagiert sich gegen Neonazis – aber in die Disko darf Mario El-Feghali nicht

Von Sandra Dassler

Es gibt Momente, da wünscht sich Mario El-Feghali, er könnte auch einfach mal zuschlagen. Wenn er im Bus von Rechtsradikalen angepöbelt wird zum Beispiel. Oder wenn er nicht ins „Q-Dorf“ darf, die große Diskothek in Charlottenburg, wo seine Mitschüler sonnabends tanzen gehen.

Nicht in die Disko zu dürfen, ist so ziemlich das Schlimmste, was einem passieren kann, wenn man 19 Jahre alt ist. Aber es sei inzwischen Normalität in Berlin, sagt Mario El-Feghali. Jedenfalls für Menschen wie ihn, die arabisch aussehen. Früher, erzählt er, hätten die Türsteher noch nach Ausreden gesucht: „Deine Jeans ist zu schmutzig“ oder „Wir sind voll“. Heute grinsen die meisten nur zynisch: „Pech gehabt, Junge. Du hast zwar den deutschen Pass, bist aber leider im falschen Land geboren.“ Einmal ist er durch die Bitten und Proteste seiner deutschen Freunde eingelassen worden. Zehn Minuten später kamen die Türsteher und behaupteten völlig grundlos: „Eh, du hast doch gerade jemanden bedroht. Raus hier!“

Manchmal hat Mario El-Feghali die Polizei um Hilfe gebeten, um eingelassen zu werden. Aber die konnte nur auf das Hausrecht der Diskotheken verweisen. Dafür kommt es häufig vor, dass ihn Polizisten zur „Routinekontrolle“ bitten, wenn er mit seiner deutschen Freundin auf einem S-Bahnhof steht. Einmal sollte er sich vollständig entkleiden. Als Mario El-Feghali nach dem Grund fragte, sagte ein Polizist: „Nun mach schon, oder darfst du das nicht wegen deines Mohammeds?“

Dabei hätte der Beamte das goldene Kruzifix, das der Abiturient stets um den Hals trägt, eigentlich nicht übersehen können. Denn Mario El-Feghali wurde zwar im Libanon geboren, aber in einer christlichen Familie. Seine Eltern sind Maroniten, die zu den ältesten der im Libanon ansässigen christlichen Gemeinschaften gehören und dort fast ein Drittel der Bevölkerung stellen. 1988 kamen die El-Feghalis nach Deutschland. Mario war damals ein Jahr alt, seine beiden Brüder wurden hier geboren. Der Vater, Moubarak El-Feghali, begann als Angestellter in der Gastronomie zu arbeiten, inzwischen betreibt er eine eigene Pizzeria in Tempelhof. Er ist deutscher Staatsbürger, zahlt Steuern und hat seine Söhne an Schulen mit geringem Ausländeranteil geschickt, damit sie sich leichter integrieren können.

Mario El-Feghali geht in die 12.Klasse, möchte nach dem Abi ein soziales Jahr im Ausland machen und dabei gern mit behinderten Kindern arbeiten. Er ist politisch aktiv, engagiert sich gegen Neonazis und hat lange gar nicht bemerkt, dass er in den Augen mancher anders ist als seine deutschen Mitschüler. „Das lag daran, dass ich Basketball gespielt hab’“, erzählt er: „In unserem Team waren Deutsche, Türken, Afrikaner – das war völlig normal.“

Als er in der 7. Klasse auf ein Spandauer Gymnasium wechselte, sagte ein Lehrer: „Holt euch bitte weiße Radiergummis, die sind besser als farbige. Das gilt ja auch für Menschen.“ Mario hat damals mit seinen deutschen Klassenkameraden mitgelacht. Erst später, sagt er, sei ihm aufgegangen, dass der Lehrer ihn gemeint hatte. Zum Glück blieb das eine Ausnahme, jetzt ist Mario an der Spandauer Martin-Buber-Gesamtschule, wo er keine Probleme mit Rassismus hat. Als sie dort kürzlich über Ausländerfeindlichkeit diskutiert haben, hat er die Episode mit dem Radiergummi noch einmal erzählt. Rassismus, sagte er, ist, wenn jemand meint, einem Menschen wegen seiner Herkunft bestimmte Eigenschaften zuweisen zu können: „Alle Polen stehlen. Alle Araber sind Terroristen. Alle Deutschen sind Nazis.“ Er hat auch die Medien kritisiert. „Warum muss immer groß in der Überschrift stehen, dass es arabische oder türkische Jugendliche waren?“

Dass manche Ausländer die Vorurteile durch ihr Verhalten bestätigen, findet Mario El-Feghali schlimm. „Gewalt, wie sie jetzt wieder an der Lichtenrader Schule vorgekommen ist, kann man durch nichts rechtfertigen“, sagt er. „In ihren Heimatländern wären die Täter geächtet und müssten mit härtesten Strafen rechnen. Hier bekommen sie milde Bewährungsstrafen und gelten in der Clique als cool.“

Er hat die Erfahrung gemacht, dass bei gewalttätigen Ausländern die gleichen Mechanismen ablaufen wie bei gewalttätigen Neonazis. „Ich hole mir meine Erfolgserlebnisse beim Sport oder in der Schule“, sagt er: „Ich habe eine wunderbare Familie und eine Perspektive. Diese Schlägertypen fühlen sich als Verlierer und hassen alle, die es vermeintlich besser haben.“

Auch sein Bruder sei kürzlich von Jugendlichen türkischer Herkunft angegriffen worden, erzählt er. Die kamen aus Familien, die alle paar Monate die Duldung neu beantragen müssen, von Sozialhilfe leben und nicht arbeiten dürfen. Die Politik hätte schon viel früher auf die Ghettoisierung bestimmter Gruppen in den Städten reagieren müssen, sagt Mario El-Feghali. Wie man das ändern kann, weiß er nicht.

Er weiß nur, warum er selbst nicht zuschlägt: „Dann würde ich ja die Klischees, die mir zugeordnet werden, erfüllen. Die Genugtuung gönne ich keinem.“ Trotzdem tut es weh, wenn seine Freunde im „Q-Dorf“ tanzen und er nicht hinein darf. „Das ginge nur, wenn ich mir den Bart abrasiere, blaue Kontaklinsen kaufe und die Haare blondiere“, sagt er: „Ansonsten endet die Integration an der Diskotür. Und wenn ich noch so gut deutsch spreche, noch so gebildet bin, wenn ich deutsch denke und träume und mich selbst als Deutscher sehe – hier bleibe ich immer ein arabischer Junge“.

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