zum Hauptinhalt
In einem Raum mit hellen Farben hilft Simone Rönick vom Verein TrauerZeit Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen, mit dem Verlust eines nahen Angehörigen fertig zu werden.

© Kitty Kleist-Heinrich

Hilfe für Halb- und Vollwaisen: Mit Malen und Spielen Trauer verarbeiten

Kinder, deren Eltern gestorben sind, haben selten Gelegenheit, über ihre Gefühle zu reden. Der Verein TrauerZeit hilft ihnen dabei.

Die Kissen auf dem Sofa sind grasgrün, die Sitzwürfel auf dem hellroten Teppich bordeauxrot, die hauchdünnen Tücher, drapiert um einen kleinen Beistelltisch, orange, grün und rot. An der Wand hängt das Bild einer Fee mit hellblauen Flügeln. In diesem Zimmer kann man sich wohlfühlen.

Das muss so sein. Die Atmosphäre bildet einen Kontrast zu dem Thema, das hier im Mittelpunkt steht. Hier geht es um Trauer, ums Sterben, um den Verlust eines geliebten Menschen. Mutter oder Vater. Oder, im schlimmsten Fall, dem Verlust von Mutter und Vater. Verlust durch Unfall oder Krankheit, plötzlichen Tod oder langwieriges Sterben.

Und zwischen all diesen warmen Farben steht Simone Rönick und erklärt, warum diese Atmosphäre so wichtig ist. „Viele denken ja, bei Trauer muss alles schwarz sein. Aber wir wollen zeigen, dass dies nicht stimmt.“

Reden ist das Schlüsselwort

Deshalb kommen sie alle her, die Kinder, die Jugendlichen, die Erwachsenen. Sie kommen in dieses Haus in Buch, auf dem Gelände einer früheren Klinik, um über ihre Trauer zu reden, um ihre Gefühle aufzuarbeiten, um die schrecklichen Erinnerungen langsam zu überwinden. Deshalb treffen sie sich mindestens einmal im Monat, manchmal auch häufiger beim Verein „TrauerZeit“ und bei Simone Rönick. Sie ist nicht bloß die Vereinsvorsitzende, sie ist auch ausgebildete Sterbe- und Trauerbegleiterin.

Reden ist das Schlüsselwort bei TrauerZeit. Das Tabu überwinden, dieses quälende Gefühl, über den Verlust des Vaters oder der Mutter nicht reden zu dürfen. In der Familie nicht, im Freundeskreis nicht. Reden wäre dort Entlastung, das Schweigen aber wird zur Qual.

Drei Kindergruppen mit bis zu acht Kindern hat Simone Rönick in Buch, dazu noch zwei Jugendgruppen, außerdem Familien. Bei Erwachsenen macht sie Einzelgespräche. 40 bis 50 Betroffene kommen insgesamt nach Buch. Die Kinder sind zwischen vier und zwölf Jahre alt. In den Gruppen arbeiten sie spielerisch ihre Trauer auf. Jedes Kind hat eine Erinnerungskiste, gefüllt mit persönlichen Erinnerungen an die verstorbene Person. Wenn die Mutter tot ist, liegen Ketten, Parfümfläschchen oder Tücher in der Kiste, Jungs bringen häufig Socken oder Schuhe mit.

Und Fotos sind wichtig. Jedes Kind weiß vom anderen, wer jetzt in dessen Leben fehlt. Wenn dann ein Fünfjähriger ein Foto seiner verstorbenen Mutter rauszieht und den anderen zeigt, dann kommt oft der Satz: „Du hattest aber eine schöne Mutter.“

Kinder feiern das mexikanische Totenfest

Simone Rönick und ihr Team – zu dem zwei Honorarkräfte sowie ein weiblicher Clown gehören – feiern mit den Kindern auch das mexikanische Totenfest. In Mexiko wird dabei gelacht und gesungen. In Buch verkleiden sich die Kinder dann mit Kleidern ihrer verstorbenen Mutter oder ihres verstorben Vaters. Hosen und Röcke sind natürlich viel zu lang, „aber es sieht cool aus“, sagt Rönick.

In fast allen Fällen sind Vater oder Mutter verstorben, manchmal sogar beide. Dass ein Bruder oder eine Schwester früh gestorben ist, das ist bei den Kindern und Jugendlichen in Buch die Ausnahme. „Einige Kinder sind schwer traumatisiert“, sagt Simone Rönick. Sie hatte Kinder, die Stunden oder sogar zwei Tage in der Wohnung mit ihrem verstorbenen Vater oder ihrer verstorbenen Mutter verbrachten. Wenn die alleinerziehende Mutter, gestorben am plötzlichen Herztod, still auf dem Bett liegt, denkt ein Kind erst mal lange, dass die Mama schläft.

Die Vereinsvorsitzende betreut aber auch Vollwaisen, die mit nur wenigen Dingen, die sie an ihre Eltern erinnern, ins Heim gekommen sind. Solche Kinder müssen erst einmal stabilisiert werden. „Auch Kinder, die ihre Eltern durch einen plötzlichen Tod wie einen Autounfall verloren haben, leiden anders als jemand, der im Hospiz Abschied nehmen konnte.“

90 Minuten sitzen die Kinder zusammen

Für sie alle sind die Gesprächsrunden in Buch seelische Rettungsinseln. 90 Minuten treffen sie sich bei TrauerZeit, einmal im Monat, assistiert von drei Begleiterinnen. Wer neu in die Gruppe kommt, wird langsam integriert. Zwei Jahre ungefähr bleiben die Kinder in der Gruppe, der genaue Zeitraum hängt davon ab, wie stabil das Kind geworden ist.

Schwieriger wird die Trauerarbeit bei den Jugendgruppen, bei den 14- bis 19-Jährigen, „die gelernt haben, dass der Tod ein Tabuthema ist“. Viele haben selber nach so einer Einrichtung wie TrauerZeit gesucht, einige haben über Krankenhäuser oder Hospize von dem Verein erfahren. Bei den Kindern übernehmen Jugendämter oder auch der Krisendienst fast immer die Kontaktaufnahme. Die Jugendlichen treffen sich zweimal pro Monat. „Sie benötigen eine höhere Frequenz“, sagt Rönick. „Wir wollen sie ja nicht verlieren.“

Bei Jugendlichen läuft die Trauerarbeit zum Beispiel über Musik. Sie bringen Lieder mit, die sie gefühlsmäßig mit dem verstorbenen Elternteil verbindet. Oder sie malen Bilder. Simone Rönick verschwindet kurz, dann präsentiert sie die Werke der Jugendlichen. Ein Bild ist unterteilt, in gelbe, grüne, rote und blaue Flächen, dazwischen, in grau ein großes P. „P“? „Das steht für Papa“, erklärt Simone Rönick. „Manchmal“, sagt sie, „trommeln wir aber auch bloß.“ Das kann enorm entlasten.

Der Verein braucht dringend Geld für die Miete

Entlastung braucht auch die Vereinsvorsitzende. Das Geld für die Miete ist knapp, es reicht nur noch bis Sommer 2017. „Wir brauchen dringend finanzielle Unterstützung für die Miete“, sagt Simone Rönick. Der Verein finanziert sich ausschließlich durch Spenden.

Simone Rönick kümmert sich auch um die Suche nach solchen Geldgebern, zusätzlich zu ihrer sonstigen Arbeit. Gerade jetzt, in der Weihnachtszeit, ist seelischer Beistand extrem notwendig. „Viele Betroffene würden Weihnachten am liebsten ausblenden. Das ist ganz schlimm.“

Also versucht sie wenigstens, ein bisschen Freude ins Leben dieser Menschen zu bringen. Sie hatte zum Beispiel mehrere Theater um Freikarten gebeten. Gerade als sie die Bilder zeigt, klingelt das Telefon. Eine Minute später sagt Simon Rönick ergriffen in den Hörer. „Ich könnte sie jetzt durch die Leitung umarmen. Das ist ein herrliches Weihnachtsgeschenk für meine Kinder.“ Der Admiralspalast ist in der Leitung. Er hat ihr gerade 31 Freikarten für die Kindershow „Die Schöne und das Biest“ geschenkt.

Spenden bitte an: Spendenaktion Der Tagesspiegel e. V., Verwendungszweck: „Menschen helfen!“, Berliner Sparkasse, BIC: BELADEBE, IBAN: DE43 1005 0000 0250 0309 42. Namen und Anschrift bitte für den Spendenbeleg auf der Überweisung notieren. Im Internet: www.tagesspiegel.de/spendenaktion.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false